Investmentfonds.de
02.03.2018:
T. Rowe Price: Italiens Schritt ins Unbekannte
Köln, den 02.03.2018 (Investmentfonds.de) -
Ivan Morozov, Sovereign Analyst bei T. Rowe Price
Der Ausgang der Wahl in Italien ist derzeit noch unklar. Möglicherweise
kommt es zu einer fragilen Koalitionsregierung oder zum Stillstand im
Parlament. Aus Anlegersicht stellt sich die Frage, welche Konstellation
welche politischen und finanziellen Auswirkungen nach sich zieht. "Auch
wenn italienische Staatsanleihen derzeit mit Vorsicht zu genießen sind,
könnten sich durchaus Kaufgelegenheiten bieten", sagt Ivan Morozov,
Sovereign Analyst bei T. Rowe Price. Das größte Risiko der Wahl besteht
seiner Ansicht nach darin, dass eine neue Regierung einerseits die
Finanzpolitik lockert, jedoch andererseits keine kompensierenden Struk-
turreformen durchführt.
Die Wahlversprechen im Vorfeld der Abstimmung sind relativ unterschiedlich:
Während die bisher regierende Mitte-Links-Partei Partito Democratico (PD)
versprochen hat, den Mindestlohn zu erhöhen, sagen Silvio Berlusconis Mitte-
Rechts-Partei Forza Italia und die rechtspopulistische Lega Nord, dass sie
einen Pauschalsteuersatz für Privatpersonen und Unternehmen einführen und
die Mindestrente erhöhen werden. Die populistische Protestbewegung der
"Fünf Sterne" (M5S) hingegen will Steuern senken und ein Mindest-Bürgerein-
kommen einführen. Einige Analysten schätzen die Gesamtkosten dieses Programms
auf 63 Milliarden Euro, was knapp vier Prozent des italienischen Brutto-
inlandsprodukts entspricht. Im Gegensatz zum vergangenen Jahr sprechen
die meisten Parteien in Italien aber nicht mehr von einem möglichen
Referendum über die EU-Mitgliedschaft – selbst die als eurokritisch be-
kannte Fünf-Sterne-Partei nicht. Lediglich die Lega Nord hat während
ihres Wahlkampfs offen darüber gesprochen, den Euro als Währung aufzugeben
– womöglich, um sich vom Rest des Mitte-Rechts-Blocks abzugrenzen.
Vor diesem Hintergrund konstatiert Morozov: "Unseres Erachtens gibt es
vier mögliche Szenarien der Wahlergebnisse". In der Reihenfolge der Wahr-
scheinlichkeit sei dies: Erstens, eine große Koalition aus PD und Forza
Italia. Zweitens, eine Mitte-Rechts Koalitionsregierung aus Forza Italia,
der Lega Nord und ein oder zwei kleineren Parteien. Drittens, die Wieder-
holung der Wahl und viertens, eine radikale Koalitionsregierung aus
"Fünf Sterne" und der Lega Nord sowie ein oder zwei kleineren Parteien.
Mögliches Szenario: Spread zwischen italienischen und spanischen
Staatsanleihen verringert sich
"Eine große Koalition zwischen PD und Forza Italia wäre wohl die am
wenigsten schädliche der vier möglichen Ergebnisse, da sie die populis-
tische Fünf-Sterne-Partei von der Regierung fernhalten würde", analysiert
Morozov. Diese große Koalition steht am ehesten für Mainstream-Politik.
Das Fehlen einer starken parlamentarischen Mehrheit könnte es einer
solchen Regierung schwermachen, substanzielle Wirtschaftsreformen
durchzuführen. Zugleich sei es unwahrscheinlich, dass die jüngsten
wichtigen Reformen der Renten, der Arbeitsgesetze und des Bankensektors
rückgängig gemacht werden. "Deswegen glauben wir, dass eine Erholungs-
rally einsetzt, sollten die DP und die Forza Italia die italienische
Regierung bilden", erläutert der Anleiheexperte. Die Renditen von
italienischen zehnjährigen Staatsanleihen könnten dann nur noch 20 bis
25 Basispunkte über den Renditen von spanischen zehnjährigen Staatsan-
leihen liegen. "Dies ist unserer Auffassung nach näher am Fair Value
als der aktuelle Risikoaufschlag von rund 55 Basispunkten. Ein stetiges
Wachstum von 1,5 bis 2,0 Prozent sollte ebenfalls zur Verengung der
Anleihespreads sorgen."
Eine Mitte-Rechts-Allianz aus Forza Italia und der Lega Nord würde wahr-
scheinlich dazu führen, dass die neue Regierung eine radikalere Politik
verfolgt als eine große Koalition. Zugleich sei aufgrund einer dann
fehlenden deutlichen Mehrheit im Parlament die Möglichkeit eingeschränkt,
Gesetze zu erlassen. Sollte es zu Neuwahlen kommen, sei ein Stillstands-
szenario wahrscheinlich. Andererseits könnten damit auch die radikaleren
Parteien zumindest für die nächsten sechs Monate nicht mitregieren. "Vor
diesem Hintergrund erwarten wir auch in diesem Fall keinen größeren Aus-
verkauf italienischer Staatsanleihen."
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Eine Koalition zwischen der Fünf-Sterne-Partei und der Lega Nord sei das
am wenigsten wahrscheinliche Szenario – aber zugleich auch das riskanteste.
Beide Parteien sind euroskeptisch und befürworten Steuersenkungen auf
breiter Front. Eine solche Koalition würde der EU große Kopfschmerzen
bereiten und von den Märkten negativ aufgenommen werden. Der Spread
zwischen zehnjährigen italienischen und spanischen Staatsanleihen könnte
sich dabei auf 100 bis 125 Basispunkte ausweiten. "In dem Fall würden wir
einen Ausverkauf der Anleihen der Peripheriestaaten erwarten", sagt
Morozov. Zugleich könnten jedoch Kaufgelegenheiten entstehen, da das
potenzielle Risiko, das von einer rechten Koalition ausgeht, im Vergleich
zum tatsächlichen Schaden überbewertet sein könnte.
"Wie auch immer die Wahl ausgeht. Unser Basisszenario bleibt, dass die
nächste italienische Regierung versuchen wird, die haushaltpolitischen
Zwänge zu lockern, die Ausgaben in einigen Bereichen zu erhöhen und die
Einwanderung zu reduzieren – allerdings nicht in dem Maße, dass dies
ein größeres Risiko für die Wirtschaft des Landes oder der Eurozone
darstellt", resümiert Ivan Morozov.
Quelle: Investmentfonds.de
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