Investmentfonds.de
21.08.2018:
BlackRock: Von Spreu und Weizen
Köln, den 21.08.2018 (Investmentfonds.de) -
Dr. Martin Lück, Leiter Kapitalmarktstrategie BlackRock
Die Reaktion vieler Investoren auf die diplomatischen Scharmützel
zwischen Ankara und Washington letzte Woche war einhellig negativ
für Anlagen in Schwellenländern. Der Aktienindex MSCI Emerging
Markets büßte über den Verlauf der Woche 5,3% ein, seit
Jahresanfang steht er inzwischen mit 10,3% im Minus. Auch aus
Rentenanlagen in Schwellenländern flossen in erheblichem Umfang
Mittel ab. Wir halten diese Reaktion für ebenso verständlich wie
voreilig. Denn mehr als je zuvor ist es entscheidend, bei
Schwellenlandanlagen die Spreu vom Weizen zu trennen. Abgesehen
von dem sehr speziellen Fall der Türkei (mehr hierzu in unserem
Marktausblick vor einer Woche) stellt die gegenwärtig zu
beobachtende leichte Straffung der Zentralbankpolitik rund um
den Globus vor allem für solche Länder eine Gefahr dar, die
Defizite in ihrer Leistungsbilanz aufweisen und deshalb auf
Kapitalzufuhr aus dem Ausland angewiesen sind. Empirische Daten
zeigen, dass Investoren in den letzten 12 Monaten vor allem
Währungen derart exponierter Länder gemieden haben. Entsprechend
ergibt sich eine markante Korrelation zwischen Außenhandelsposition
und Wechselkurs. Das ist genau die Entwicklung, welche man nach
Lektüre volkswirtschaftlicher Lehrbücher erwarten würde und somit
keineswegs überraschend. Dennoch ist es eine wichtige Erkenntnis,
denn der Zusammenhang beweist, wie wenig sinnvoll es ist, alle
Schwellenländer im gegenwärtigen Umfeld über einen Kamm zu scheren.
Entsprechend dürften sich für den Fall eines fortgesetzten
undifferenzierten Abverkaufs bei Schwellenlandanlagen auf Sicht
interessante Kaufgelegenheiten ergeben. Sie finden sich in Ländern
mit gesunden Fundamentaldaten, etwa mit Blick auf Leistungsbilanz,
fiskalische Position und Währungsreserven. Vor allem bei Aktien,
wo sich in den letzten Jahren Faktoren wie Transparenz,
Gewinndynamik und Qualität der Unternehmensführung deutlich
verbessert haben, locken günstige Bewertungen. Dies gilt
allgemein etwa für den MSCI Emerging Markets, an dem türkische
Unternehmen übrigens nur einen Anteil von weniger als 1% haben,
mit einem KGV von 11,7, also deutlich günstiger als der MSCI
World mit aktuell 15,5. Wir bleiben etwa positiv für China,
aber auch für das in den Schwellenlandturbulenzen 2013
(‚Taper Tantrum‘) noch heftig gebeutelte Indien.
Unsere relativ konstruktive Position bezüglich
Schwellenlandanlagen ist genau dies: relativ. So haben wir nach
wie vor wenig Hoffnung auf eine schnelle Besserung der Lage in
der Türkei. Aus heutiger Sicht erscheint unwahrscheinlich, dass
Präsident Erdogan die finanzpolitische Wende, welche vermutlich
notwendig wäre, um verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen,
tatsächlich beschließt. Sie könnte nämlich die Türkei in eine
tiefe Rezession stürzen und das Ende von Erdogans Herrschaft
bedeuten. Ebenso schwierig ist derweil die Vorstellung eines
reumütigen Ganges nach Washington, um mit einem neuen IWF-Paket
zurückzukommen. Bleibt die Hilfe von Freunden, beispielhaft zu
besichtigen etwa in der vergangenen Woche in Form eines
Sofortdarlehens in Höhe von 15 Mrd. Dollar seitens Katar.
Auch Unterstützung durch die EU wird inzwischen diskutiert,
und angesichts der geringen Zahl glaubwürdiger Alternativen
halten wir diese auch für zunehmend wahrscheinlich. Die jüngste
Freilassung der Journalistin Mesale Tolu könnte man mit ein
bisschen Fantasie als Friedenstaube aus Ankara deuten. Vermutlich
aber muss der Druck auf die Türkei erst noch zunehmen, bevor die
Kluft zwischen EU und Alleinherrscher Erdogan überbrückbar wird.
Entspannung wie letzte Woche, als Finanzminister Albayrak mit
einer Reihe von Versprechungen per Telefonkonferenz den Kurssturz
der Lira vorübergehend bremsen konnte, dürfte es zunächst eher
nur phasenweise geben.
Was bedeutet das für Anleger?
Ansonsten steht für diese Woche neben den Einkaufsmanagerindizes
für August, von denen wir eine Bestätigung des robusten Makrotrends
in Europa und den USA erwarten, vor allem der Beginn der
alljährlichen Zentralbankerkonferenz in Jackson Hole auf dem
Programm. In der kühlen Bergluft der Rocky Mountains dürften die
Chefs der großen Notenbanken beratschlagen, wie die Zeitenwende
strafferer geldpolitischer Bedingungen möglichst schonend
bewerkstelligt werden kann. Schon heute zeigt sich ja am Beispiel
der schwächsten Glieder in der globalen Kette (zu denken wäre hierbei
etwa an Argentinien oder die Türkei), dass es durchaus zu unerwarteten
Verwerfungen kommen kann. Hierfür genügt in einem angespannteren
Risikoumfeld im Zweifel ein einziger Auslöser. Dieser kann von
unerwarteten – und unplanbaren – geopolitischen Veränderungen ebenso
herrühren wie etwa von einem – genauso unplanbaren – Tweet aus dem
Weißen Haus. Obwohl wir uns immer mehr an den ganz normalen Wahnsinn
seitens der gegenwärtigen globalen Protagonisten gewöhnen, bleiben
deren erratische Ausbrüche doch gerade in Zeiten weniger großzügiger
Zentralbanken eine nie zu unterschätzende Risikoquelle.
Quelle: Investmentfonds.de
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