Investmentfonds.de
11.03.2019:
J.P. Morgan Asset Management: Flirtet Europa mit der Rezession?
Köln, den 11.03.2019 (Investmentfonds.de) -
Tilmann Galler, globaler Kapitalmarktstratege bei J.P. Morgan Asset Management
- Exportschwäche und hausgemachte Probleme als Risikofaktoren für die Eurozone
- Globale Konjunkturerholung und politische Deeskalation als Hoffnungsschimmer
- Anlegerstimmung aufgrund enttäuschender Daten eingetrübt, doch Aktien könnten
sich besser entwickeln als die Wirtschaft
Vor einem Jahr schien die Eurozone auf Erholungskurs und die Eurokrise endgültig
der Vergangenheit anzugehören: Die Arbeitslosigkeit war auf dem Rückzug, die
Zinsen niedrig und die Exportwirtschaft brummte. Doch seitdem geht die
Entwicklung kontinuierlich und steil nach unten - die Konjunktur ist so stark
abgekühlt, dass ein Flirt mit der Rezession nicht auszuschließen ist. Um eine
Trendwende einzuläuten müssten laut Tilmann Galler,für zwei von drei Szenarien
positive Resultate folgen: Vermeidung eines harten Brexit, Deeskalation im
Handelsstreit sowie erfolgreiche Stimulierung der chinesischen Wirtschaft.
Exportschwäche und hausgemachte Probleme
Gleich mehrere Faktoren spielen nach Meinung von Tilmann Galler mit Blick auf die
schwache Entwicklung in der Eurozone eine Rolle. Auf der einen Seite gebe es
externe Faktoren wie einen abgeschwächten Außenbeitrag: Noch im 4. Quartal 2017
trugen die Nettoexporte mit 1,4 Prozent mehr als die Hälfte zum Gesamtwachstum
von 2,7 Prozent bei. Neun Monate später war der Beitrag mit -0,2 Prozent sogar
negativ. "Während die Importe durch den damals noch steigenden Ölpreis kräftig
angestiegen sind, stagnierten zur gleichen Zeit die Exporte. Die Güternachfrage
hat sich im Verlauf des letzten Jahres insbesondere aus den Schwellenländern
verlangsamt", so der Stratege.
Auf der anderen Seite gebe es jedoch auch zahlreiche hausgemachte problematische
Aspekte: Italien etwa befindet sich bereits in einer Rezession, hervorgerufen
durch das verschärfte monetäre Umfeld im Zuge des Haushaltsdisputs sowie die
anhaltende politische Unsicherheit. "Auch in Deutschland ist die Stimmung in der
Industrie durch Brexit und die aggressive US-Handelspolitik angeschlagen",
erklärt Tilmann Galler. Immerhin beginnt sich die Autoproduktion wieder etwas zu
erholen, was zumindest kurzfristig der Wirtschaft helfen sollte. Der Rezession
ist man im 4. Quartal 2018 mit einem Wachstum von 0,02 Prozent jedoch nur knapp
entronnen.
Mit Italien und Deutschland befinden sich zurzeit immerhin knapp 45 Prozent der
EU19-Wirtschaftsleistung in oder nahe einer Rezession. Um das Risiko, dass 2019
die gesamte Währungsunion in eine Rezession fällt, zu bewerten, sollte man laut
Tilmann Galler dem Konsumenten auf den Zahn fühlen, denn immerhin 54 Prozent des
BIP wird durch die Konsumnachfrage generiert. Nach Einschätzung des Kapitalmarkt-
experten zeigt sich die Konsumnachfrage in der Eurozone fundamental in einer
guten Lage: Die Löhne steigen, der Arbeitsmarkt ist stabil und der gefallene
Ölpreis führt zu einer Entlastung an der Zapfsäule. "Vermutlich werden die
Konsumenten jedoch nur bereit sein, zusätzliche Anschaffungen zu tätigen, wenn
sich die politische und wirtschaftliche Nachrichtenlage verbessert", erklärt
Galler.
Außenhandel und Politik als mögliche Stimmungsaufheller
Die Europäische Zentralbank EZB kann nach Ansicht von Tilmann Galler aktuell
nicht viel ausrichten: Die Einlagenzinsen sind bereits negativ und dürften das
die nächsten 12 Monate bleiben, da die Notenbank bereits deutlich auf die
Abwärtsrisiken in der Wirtschaft hingewiesen hat. Eine deutlich expansivere
Fiskalpolitik in der Eurozone, wie in den USA oder China, scheitert an der teils
hohen Staatsverschuldung oder am politischen Willen.
"Es bleiben nur noch der Außenhandel und die Politik. So wäre das Abwenden eines
harten Brexit, eine Deeskalation im Handelsstreit und eine erfolgreiche
Stimulierung der chinesischen Wirtschaft in der Lage, die Stimmung im
verarbeitenden Gewerbe und bei den Konsumenten zu verbessern", sagt Tilmann Galler.
Wenn von diesen drei Szenarien mindestens zwei mit positiven Resultaten
aufwarteten, könne Europa eine Rezession vermeiden.
Anlegersentiment ist abhängig vom globalen Wachstumsumfeld
Angesichts der Vielzahl von Aspekten, die zu dem Abschwung in Europa beigetragen
haben, und einem noch ausstehenden klaren Katalysator für eine Trendwende, zeigen
sich Anleger für die Region derzeit zurückhaltend. Laut dem Strategen sollte
allerdings nicht vergessen werden, dass rund 50 Prozent der Umsätze europäischer
Unternehmen außerhalb der Region erwirtschaftet werden. So gelang es den
europäischen Unternehmen 2018 trotz der Verschlechterung des makroökonomischen
Umfelds, ein respektables Gewinnwachstum von 5 Prozent zu erzielen.
"Ein unsicherer Konjunkturausblick für die Region bedeutet, dass Anleger
kurzfristig vorsichtig bleiben sollten. Da jedoch sowohl europäische Unternehmen
als auch die Wirtschaft im Euroraum insgesamt stark international ausgerichtet
sind, wird die Entwicklung des globalen Wachstumsumfelds erheblichen Einfluss auf
die künftigen Geschicke der Region haben", so Galler. Die Zurückhaltung der
Anleger dürfte anhalten, bis sich eine dauerhafte Erholung des Wachstums
abzeichnet. "Sollte sich bei den makroökonomischen Daten jedoch eine positive
Entwicklung erkennen lassen, könnte es europäischen Aktien sehr viel besser
ergehen, da derzeit sehr viel Pessimismus eingepreist ist", betont der Experte.
Quelle: Investmentfonds.de
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