Investmentfonds.de
28.03.2019:
Vontobel: Was ein harter Brexit für die Finanzmärkte bedeuten würde
Köln, den 28.03.2019 (Investmentfonds.de) -
Ludovic Colin, Head of Global Flexible Bonds bei Vontobel Asset Management
* Ein ungeordnetes Ausscheiden Großbritanniens aus der EU wäre der wahrscheinlichste
Auslöser für eine Rezession in der Europäischen Union
* Eine mögliche Einigung zwischen der EU und Großbritannien wird wahrscheinlich
nur unter sehr viel Druck erzielt werden können und mit Spannungen an den Märkten
einhergehen
* Die Märkte bewerten die Möglichkeit eines neuen Referendums als wahrscheinlichstes
Szenario
In den letzten drei Jahren haben die Bemühungen des Vereinigten Königreichs, die
Europäischen Union (EU) zu verlassen, die europäischen Märkte stark belastet.
Abgesehen von den anfänglichen Befürchtungen eines Zerfalls des wirtschaftlichen
und politischen Blocks ist die Hauptsorge der Investoren die Möglichkeit, dass
Großbritannien die Europäische Union ohne vorherige Einigung verlässt, da dies
negative Auswirkungen auf die Wirtschaft haben könnte. Unserer Meinung nach wäre
ein ungeordneter Ausstieg Großbritanniens der wahrscheinlichste Auslöser für eine
Rezession in der EU.
Diese Option, die zunächst als weit weg erschien, ist im Laufe des letzten Monats
wahrscheinlicher geworden. Die festgefahrene Situation im britischen Parlament und
die Frist bis zum 12. April geben der britischen Regierung nicht viel
Handlungsspielraum.
Das bedeutet nicht, dass es keine Möglichkeit gibt, noch eine Einigung zu erzielen.
Es wird sich jedoch um eine Entscheidung des britischen Parlaments in letzter
Minute unter dem enormen Druck der Öffentlichkeit handeln, die mit erheblichen
Spannungen an den Finanzmärkten einhergehen dürfte.
Im Moment sind die möglichen Szenarien die folgenden:
* Theresa Mays Brexit-Deal wird genehmigt
* Es findet ein neues Referendum statt
* Art. 50 des EU-Vertrages wird widerrufen
* Ein harter Brexit
* Neuwahlen
In diesem Umfeld besteht die Hauptschwierigkeit für die Märkte darin, diesen
Szenarien eine angemessene Wahrscheinlichkeit zuzuordnen. Es gibt keinen
verläßlichen Zeitplan und jedes Szenario hätte andere Auswirkungen auf die
Finanzmärkte.
Harter Brexit
Ein Brexit ohne Vertrag würde die Volatilität an den Finanzmärkten in die Höhe
schießen lassen, da die Ereignisse außer Kontrolle geraten könnten. Die direkten
Auswirkungen wären ein möglicher Schock für das britische Pfund sowie eine
Stressperiode für den FTSE-Index. Auch der Euro und die europäischen Märkte würden
darunter leiden. Die langfristigen Auswirkungen sind schwer vorhersehbar, aber
eine Zinssenkung durch die Bank of England, um die Auswirkungen auf die
Wirtschaft abzumildern, ist wahrscheinlich.
In diesem Zusammenhang würde die britische Wirtschaft wahrscheinlich automatisch
in eine Rezession gestürzt. Wie ernst die Lage tatsächlich wäre, würde weitgehend
davon abhängen, in welcher Form Zölle verhängt und angewendet werden. Einige
Ökonomen sind der Meinung, dass Großbritannien in den ersten 12 Monaten nach dem
Ausscheiden des Landes aus der EU mit Wachstumseinbußen von 1,5 Prozent bis
2 Prozent rechnen müsste. Für die Europäische Union wären die Auswirkungen
ebenfalls negativ (-0,5 bis -0,7 Prozent des BIP), aber die Europäer haben mehr
Spielraum, um die Auswirkungen eines harten Brexit abzumildern.
Am stärksten betroffene Vermögenswerte
Die britischen Kredit- und Aktienmärkte in Pfund Sterling, würden nach einem
vertragslosen Brexit am stärksten leiden. Aufgrund der wirtschaftlichen Auswirkungen
würden die Vermögenswerte der Eurozone hinter dem Rest der Welt zurückbleiben,
allerdings nicht im gleichen Ausmaß wie die britischen Vermögenswerte.
Es ist nicht auszuschließen, dass ein vertragsloser Brexit eine Wirkung von
systemischer Tragweite auf das gesamte Finanzuniversum haben wird. Wenn das
Vereinigte Königreich und sogar die Europäische Union in eine Rezession
abrutschen, werden die Kredit- und Aktienmärkte sich gezwungen sehen, das
Rezessionsrisiko auch in anderen Regionen neu zu bewerten. Die einzigen sicheren
Vermögenswerte wären der US-Dollar, andere sichere Währungen wie der Schweizer
Franken und der japanische Yen, sowie ausgewählte Staatsanleihen aus entwickelten
Märkten.
Im Gegenzug wäre ein neues Referendum eine positive Nachricht für die Märkte. Es
würde der britischen Öffentlichkeit die Möglichkeit geben, eine Übergangsvereinbarung
zu akzeptieren oder den Brexit ganz abzusagen. Derzeit wird dieses Szenario von
den Märkten als eines der wahrscheinlichsten angesehen.
Quelle: Investmentfonds.de
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