Investmentfonds.de
15.04.2019:
Marktkommentar Vontobel: Brexit - Des Dramas nächster Akt
Köln, den 15.04.2019 (Investmentfonds.de) -
Ludovic Colin, Head of Global Flexible Bonds bei Vontobel Asset Management
EU-Austritt des Vereinigten Königreichs erneut verschoben
* Die Gefahr eines harten Brexits sinkt, während die Gefahr einer
politischen Krise steigt
* Britisches Pfund und Vermögenswerte stehen vor einer Belastungsprobe
Noch ist alles möglich. Die zwischen der Europäischen Union und dem Vereinigten
Königreich getroffene Vereinbarung über die Verlängerung für den Brexit gibt den
Briten genügend Zeit, ein Referendum zu organisieren, was die Wahrscheinlichkeit
für eine Einigung im britischen Unterhaus erhöht. Es verschafft Jeremy Corbyn,
dem Vorsitzenden der Labour Party, aber auch die Zeit, auf Neuwahlen zu drängen
und damit die politische Instabilität in Großbritannien zu erhöhen. Andererseits
werden die Tories nicht begeistert sein, die bevorstehenden Europawahlen im Mai
organisieren zu müssen, so dass die Chancen, dass Premierministerin Theresa May
ihr Amt verlieren wird, nach der gestrigen Entscheidung gestiegen sind.
Das könnte bereits in dieser Woche der Fall sein. So könnte Corbyn beschließen,
dass er kein Abkommen will und versuchen, auf Neuwahlen zu drängen. Die gute
Nachricht ist aber auf jeden Fall, dass das größte Risiko in Großbritannien
zunächst nicht mehr ein harter Brexit ist. Tatsächlich besteht die größte
Bedrohung für das Land - und ein Stück weit auch für Europa - nun vielmehr in
einer totalen politischen Krise.
Zwar hat die erneute Fristverlängerung das kurzfristige Risiko eines harten
Brexits beseitigt, aber die Unsicherheit darüber hält an. Die Auswirkungen auf
finanzielle Vermögenswerte sind sehr schwer vorherzusagen, da sich die
Wahrscheinlichkeiten für die verschiedenen Szenarien - harter oder weicher Brexit,
Streichung von Art. 50, Referendum oder Neuwahlen - überhaupt nicht geändert haben.
Daher wird die aktuelle Situation angespannt und schwierig bleiben. Ich denke, wir
werden in Westminster ein noch aggressiveres politisches Spiel erleben, welches das
Pfund und britische Vermögenswerte weiterhin belasten wird. Die Bank of England
könnte dazu gedrängt werden, die wirtschaftlichen Auswirkungen abzumildern und der
EZB und der Fed zu folgen, indem sie eine längere Unterbrechung ihrer Zinserhöhung
ankündigt oder sogar Zinssenkungen andeutet. In diesen Fällen würden britische
Staatsanleihen, die Gilts, vermutlich besser abschneiden als der Gesamtmarkt.
Die Märkte sind mittlerweile gelangweilt von etwas, das zu einem Drama in mehreren
Akten geworden ist, und auch von der Tatsache, dass der Brexit durch die ständigen
Fristverlängerungen ständig verschoben wird. Der Preis für die Versicherung gegen
ein Negativszenario ist quasi zusammengebrochen. Das bedeutet, dass der Markt nicht
das Bedürfnis verspürt, sich gegen größere Turbulenzen zu schützen. Die Anleger
waren sehr besorgt über die Wahrscheinlichkeit eines Brexits ohne Vereinbarung.
Jetzt, da dieses Szenario zunächst beseitigt ist, wollen die Märkte durchatmen und
sich auf etwas Anderes konzentrieren. Aktuell wird das Risiko eines Machtwechsels
und eines möglichen Wahlsiegs von Corbyn und der Labour Party von den Finanzmärkten
völlig unterbewertet.
Ich gehe davon aus, dass diese Bedenken in den nächsten Tagen wieder aufkommen werden.
Quelle: Investmentfonds.de
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