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17.05.2019:
Vontobel: EU-Wahlen - Auf nationaler Ebene größere Bedeutung als im europäischen Rahmen?
Köln, den 17.05.2019 (Investmentfonds.de) -
Dr. Reto Cueni, Senior Economist bei Vontobel Asset Management
* Euro als Sündenbock für hausgemachte Reformfehler
* Einheitswährung kein Allheilmittel für grundlegende strukturelle Probleme
* Missverhältnis zwischen nationalen und supra-nationalen Kompetenzen verhindern
eine voll funktionierende Einheit
Im vergangenen Monat wurde Notre-Dame de Paris von einem Großfeuer heimgesucht und
ist nur knapp der völligen Zerstörung entkommen, denn ihre Struktur hielt - trotz
des Einsturzes des Dachstuhls - weitgehend stand. Angesichts der bevorstehenden
Europawahl stellt sich die Frage, ob die schwer beschädigte Kathedrale symbolisch
für den derzeitigen Zustand der Europäischen Union stehen könnte? Denn das
Wahlergebnis wird zeigen, wieviel Rückhalt die euroskeptischen Parteien in der
europäischen Bevölkerung haben.
Die Europäische Union sieht sich derzeit mit mehreren Herausforderungen konfrontiert.
Ihr Mitgliedschaftsgefüge steht seit Längerem, aufgrund von Großbritanniens
Loslösungsbestrebungen, auf wackligen Beinen. Das Schreckensszenario eines
vertragslosen Brexit per 12. April wurde zwar abgewendet und die Frist bis Ende Oktober
verschoben. Wie die politische Blockade in Großbritannien überwunden werden kann, ist
aber nach wie vor unklar. Ein vertragsloser Brexit ist jedoch eher unwahrscheinlich.
Allerdings könnte die bevorstehende Europawahl, an denen Großbritannien nun wohl oder
übel teilnehmen muss, zu größeren politischen Turbulenzen auf europäischer Ebene führen
- dies insbesondere, wenn eine europafeindliche britische Partei ihren Einfluss in
Brüssel vergrößert.
Nach jüngsten Umfragen im Vorfeld der Wahlen im Mai sind zwar keine substantiellen
Umwälzungen zu erwarten. Die euroskeptischen Parteien legen wahrscheinlich etwas zu,
werden aber wohl in der Minderheit bleiben, was allerdings nicht heißt, dass ihr
Stimmenzuwachs ohne Folgen bleiben wird. Der Urnengang dürfte für die Politik in den
einzelnen EU-Mitgliedstaaten paradoxerweise mehr Einfluss als auf europäischer Ebene
haben. Falls beispielsweise die italienische Protestpartei Lega sehr gut bei den
EU-Wahlen abschneiden würde, könnte sie sich aus der derzeitigen Regierungskoalition
mit der FünfSterne-Bewegung lösen und Neuwahlen im Land erzwingen wollen. Das wäre
wohl längerfristig gut für Italiens Wirtschaft, dürfte aber kurzfristig die Unsicherheit
erhöhen.
Unter den Hauptgründen für den Aufstieg der europafeindlichen Parteien sind die
anhaltenden wirtschaftlichen Unterschiede zwischen einigen Ländern der Eurozone zu nennen.
Sie stellen große Herausforderungen für den Euro als Einheitswährung und für die EZB als
Verwalterin des Systems dar. Die Notwendigkeit, die wirtschaftlichen Unterschiede bei
gleichzeitiger Nutzung einer einheitlichen Währung zu überwinden, wird weitere
Anti-Euro-Bewegungen in wirtschaftlich schwächeren Ländern fördern, die den Euro zum
Sündenbock für hausgemachte Reformfehler machen.
Gemeinschaftswährung als Sündenbock
Über die letzten Jahre hinweg löste der Euro die nationalen Währungen von 19 der 28
EUMitgliedstaaten ab. Er förderte den innereuropäischen Handel, indem er das Währungsrisiko
ausschloß, und brachte damit die Länder der Eurozone in Kombination mit einem gemeinsamen
Arbeits- und Binnenmarkt näher zusammen. Dies förderte den Wettbewerb und führte zu einer
effizienteren Ressourcennutzung. Weiterhin unterstützte er die Schaffung eines gemeinsamen
Finanzmarktes, obwohl das europäische Bankensystem immer noch weniger integriert ist als
erwartet. Global konnte der Euro ebenfalls punkten, denn er erleichterte ausländischen
Investoren den Marktzugang und machte ausländische Direktinvestitionen attraktiver.
Soweit so gut.
Eine Einheitswährung ist allerdings kein Allheilmittel, schon gar nicht für grundlegende
strukturelle Probleme, wie beispielsweise einen ineffizienten Arbeitsmarkt oder öffentlichen
Dienst. Ebenso kann die Währung fehlende institutionelle Rahmenbedingungen wie eine
gemeinsame Fiskalpolitik oder Einwanderungspolitik natürlich nicht ausgleichen. Die
wirtschaftliche Entwicklung der einzelnen Länder der Eurozone unterscheidet sich zum Teil
erheblich. Mit dem Beitritt zum Euro verliert ein Land jedoch die Möglichkeit über die eigene
Währung, diese Unterschiede auszugleichen. Schließlich ist die EZB gezwungen, eine
einheitliche Geldpolitik für alle Länder in einer Art Universalstrategie durchzusetzen.
Anderseits hilft das Korsett des Euro und EU-Regelwerks vielen Euroländern ihre Schuldzinsen
tiefer zu halten, als dies sonst der Fall wäre.
Missverhältnis zwischen nationalen und EU-Kompetenzen
Wie sich die Eurozone entwickelt hätte, wäre der Euro nicht in einer so frühen Phase des
europäischen Projekts eingeführt worden, werden wir nie wissen. Allerdings gibt es mehrere
erfolgreiche Beispiele in der Geschichte, wie die Schweiz oder die Vereinigten Staaten von
Amerika, die eine Staatenunion gründeten, welche zunächst ohne Einheitswährung auskam und
diese erst nach anderen vereinheitlichenden Maßnahmen einführte. So ging es beispielsweise
zuerst darum, mit Hilfe eines Militärbündnisses eine gemeinsame Grenze aufrechtzuerhalten
und damit eine starke gemeinsame Außenpolitik zu definieren. Die Eurozone (und die EU) ist
zum Glück von einer solchen Feuerprobe verschont geblieben. Jedoch blieb dadurch auch der
erste Anstoß für eine gemeinsame europäische Steuerpolitik aus, denn für die Schweiz und
die USA stellte die Erhebung einer Steuer zur Finanzierung von Militärausgaben jeweils den
Anfang einer Steuer auf nationaler Ebene dar. Da in der Eurozone bislang nur die Geldpolitik,
nicht aber die Fiskalpolitik gemeinsam geführt wird und die nationalen Parlamente weiterhin
die Hoheit über Einnahmen und Ausgaben der Länder besitzen, besteht ein Missverhältnis
zwischen nationalen und supra-nationalen Kompetenzen, welche eine voll funktionierende
Einheit verhindern. Dieses Missverhältnis sollte mit dem großen EU-Regelwerk
(Maastrichter Kriterien, Stabilitäts- und Wachstumspakt) über die Zeit behoben werden, was
aber bis heute nicht gelang, wenn man die Fiskalpolitik von Ländern wie Frankreich, Italien
oder Belgien betrachtet. In diesem Sinne erscheint die Einführung des Euro, insbesondere
der Einbezug von höher verschuldeten Ländern wie Italien oder Belgien, als eine voreilige
Maßnahme im Rahmen des gemeinsamen europäischen Projekts, deren ökonomische Grundlagen
noch zu heterogen war, um die Folgen einer Einheitswährung vollständig tragen zu können.
Trotz allem ist ein Auseinanderbrechen der Währungsunion vorerst nicht wahrscheinlich - denke
man zum Beispiel an die Tatsache, dass auch die neue italienische Regierung, die aus einer
Koalition zweier EU- und euroskeptischer Parteien besteht, den Euro weiterhin behalten will.
Dies zeigt, dass die Einheitswährung für die Euro-Länder weiterhin von Wert ist oder zumindest,
dass eine Abkehr von der Währungsgemeinschaft zu teuer wäre.
Quelle: Investmentfonds.de
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