Investmentfonds.de
23.05.2019:
Barings: Chancen, den aktuellen Gegenwinden zu begegnen
Köln, den 23.05.2019 (Investmentfonds.de) -
Rob Smith, Manager der Barings German Growth Strategie
Die Sorge nimmt zu, dass sich die Weltwirtschaft einer Rezession nähern könnte.
Teilen Sie diese Einschätzung und wie ist die deutsche Wirtschaft Ihrer Meinung
nach positioniert?
Es gab viele dramatische Schlagzeilen über die Wachstumsaussichten der Weltwirtschaft,
dennoch gibt es Gründe, positiv zu bleiben. Die neuesten Produktionsdaten aus China
deuteten auf eine Expansion hin und übertreffen die Prognosen.
Auch die Zahlen des Einkaufsmanagerindex der USA (PMI) waren höher als erwartet, da
die Stilllegungseffekte der US-Regierung verschwinden und die Stimmung weiterhin von
der akkommodierenden Geldpolitik der US-Notenbank (Federal Reserve) gestützt wird.
Unserer Ansicht nach spiegeln die jüngsten Konjunkturtiefs lediglich eine Anpassung
in der Mitte des Zyklus wider, anstatt einen anhaltenden globalen Wirtschaftsabschwung
einzuleiten.
Für die deutsche Wirtschaft ist insbesondere hervorzuheben, dass das zweite Halbjahr
2018 von einigen bedeutenden einmaligen Ereignissen geprägt war, die das deutsche BIP
geschätzt um rund 0,5% reduziert haben. Die Automobilproduktion litt durch Verzögerungen
bei der Abnahme von Fahrzeugen nach der neuen Abgasprüfverordnung Worldwide Harmonised
Light Vehicle Test Procedure (WLTP). Zudem sanken die Wasserstände im Rhein auf ein so
niedriges Niveau, dass der Transport von Produkten in und aus den Chemie und Stahlwerken
unmöglich wurde - das gab es noch nie. Beide Ereignisse werden sich im Jahr 2019 aller
Wahrscheinlichkeit nach nicht wiederholen, so dass allein die Rückkehr zu einem normalen
Produktionsniveau ein nützliches Wachstum gegenüber dem Vorjahr generieren dürfte.
Beim Thema Gegenwind bleibt das Brexit-Problem im Vordergrund. Wie sehen Sie die
Auswirkungen der verschiedenen Szenarien auf die deutsche Wirtschaft?
Wenn eine Vereinbarung getroffen wird, die den Austausch von Waren ohne harte Grenze
zu Europa ermöglicht, wird es theoretisch überhaupt keine Änderung geben, so dass ein
weicher Brexit eine begrenzte Wirkung hätte. Bei einem harten Brexit hängt es davon ab,
ob Großbritannien möglicherweise beginnt, Zölle zu erheben, um seine eigenen Unternehmen
vor Wettbewerb zu schützen. Die aktuelle Rhetorik scheint den Freihandel zu befürworten;
in diesem Fall dürfte Deutschland weitgehend von Zöllen verschont bleiben. Verzögerungen
an den Grenzen können für Unternehmen auf beiden Seiten eine Erhöhung des Umlaufvermögens
erforderlich machen (dies geschieht derzeit, während Unternehmen Vorräte aufbauen), was
zu steigenden Kosten führt. Die Auswirkungen sollten jedoch begrenzt sein, wenn keine
Zölle angewendet werden. Das Entscheidende, worauf in Kommentaren geachtet werden muss,
sind die Bedingungen zukünftiger Handelsabkommen.
Abgesehen davon, dass viele Investitionsentscheidungen auf Eis gelegt werden, bis auf
die eine oder andere Weise Klarheit herrscht, haben wir keine wesentlichen Auswirkungen
der laufenden Brexit-Verhandlungen auf deutsche Unternehmen gesehen. Allerdings
beobachten wir weiterhin die Entwicklungen in diesem Bereich, zumal ein
"No-Deal"- Brexit aufgrund der potenziellen Handelshemmnisse, die er mit sich bringen
würde, geringe negative Auswirkungen haben könnte.
"Die Bereiche Gesundheit und Spezialchemikalien enthalten aus unserer Sicht eine Reihe
von Unternehmen mit hohen Wachstumschancen, und Unternehmen, die sich auf die Zukunft
der Elektromobilität konzentrieren, wie dies im Automobil- und Maschinenbau zu sehen ist,
sollten auch Wachstumspotenzial bieten."
Welcher Bereich am deutschen Aktienmarkt hat in letzter Zeit das stärkste Wachstum
erfahren, und wie haben Sie die deutsche Wachstumsstrategie von Barings dafür positioniert?
Technologiewerte haben in den letzten Jahren ein deutliches Wachstum erfahren.
Der deutsche Technologiesektor umfasst eine Vielzahl dynamischer Unternehmen mit
spezifischen Wachstumschancen, von denen wir glauben, dass sie das Potenzial haben,
langfristiges, strukturelles Wachstum zu fördern. Viele Technologieunternehmen versuchen
auch, Branchen durch kontinuierliche Innovationen zu zerstören und ihre technologischen
Vorteile zu nutzen, um dieses strukturelle Wachstum voranzutreiben.
Vor diesem Hintergrund ist es allerdings auch wichtig, die Bewertungen zu berücksichtigen,
da wir glauben, dass viele Technologieunternehmen sehr teuer geworden sind. So haben wir
beispielsweise unsere Beteiligung an Wirecard, einem Finanztechnologieunternehmen, gegen
Anfang 2018 verkauft, da sich die Bewertung auf ein über 40-faches Kurs-Gewinn-Verhältnis
erhöhte. Während wir weiterhin davon ausgehen, dass Wirecard von der umwälzenden
Entwicklung des Zahlungsverkehrs von Bargeld zu Karte und vom anhaltenden Wachstum im
E-Commerce profitieren wird, waren wir der Ansicht, dass andere attraktive
Investitionsmöglichkeiten zu einem viel günstigeren Preis angeboten werden.
Eines dieser Unternehmen ist S&T, ein kleines Unternehmen für IT-Beratung und Solutions,
das zu einem Preis von etwa dem 30-fachen des Gewinns gehandelt wird. Wir glauben,
dass dieses Unternehmen über ein überzeugendes Wachstumspotenzial verfügt, da es sich
von einem traditionellen Hardwarehersteller mit niedrigen Margen zu einem
Full-Service-Anbieter mit Fokus auf vernetzte Geräte entwickelt. Die Bereiche Gesundheit
und Spezialchemikalien enthalten aus unserer Sicht auch eine Reihe von Unternehmen mit
hohen Wachstumschancen, und Unternehmen, die sich auf die Zukunft der Elektromobilität
konzentrieren, wie dies im Automobil- und Maschinenbau zu sehen ist, sollten auch
Wachstumspotenzial bieten.
Mit Blick auf die Zukunft, aus welchen Branchen wird das Wachstum in den nächsten 12
Monaten sowie mittel- und langfristig voraussichtlich kommen?
Es ist schwer zu sagen, welche Branche sich in Deutschland in diesem Jahr am besten
entwickeln wird. Während die Wachstumssektoren weiterwachsen dürften, werden sich
wahrscheinlich auch die zyklischen Aktien von den Problemen des letzten Jahres erholen.
Natürlich ist Wachstum für kleinere Unternehmen viel einfacher zu realisieren als für
größere, und in diesem Jahr ist es angesichts des Produktionsanlaufs neuer
Elektrofahrzeugmodelle wahrscheinlich, dass das schnellste Wachstum von den Small Caps
kommt, die sich überwiegend auf diese Nische konzentrieren.
Es ist auch schwierig, kurzfristig die besten Aktienkurse der einzelnen Unternehmen zu
ermitteln, da die wachstumsstärksten Unternehmen oft mit den höheren Bewertungen
einhergehen. Wenn wir bis Mitte dieses Jahres eine Ankündigung eines Handelsabkommens
zwischen den USA und China haben, vermute ich, dass einige der kleineren zyklischen
Unternehmen wie Deutz (ein Kompaktmotorenanbieter) die größten Kursgewinne erzielen
werden. Da diese Unternehmen stärker mit dem Konjunkturzyklus korrelieren als
Wachstumswerte, werden sie eher von einem plötzlichen Impuls für ein positives globales
Wirtschaftswachstum profitieren. Was die Branchen angeht, ist es schwierig, mit
Überzeugung zu sagen, welche über einen kurzen Zeitraum am besten platziert sind, aber
wir sind bei defensiven Branchen wie Telekommunikation, Versorgungsunternehmen und
Verbrauchsgütern weniger optimistisch, so dass wir in diesen Bereichen untergewichtet
sind.
Mittelfristig dürften die gleichen Nischenanbieter nach wie vor starke Wachstumsraten
aufweisen, wenngleich sich die Kurse mit zunehmender Basis voraussichtlich verlangsamen
werden. Die Digitalisierung der Fertigungsbasis wird voraussichtlich das derzeit starke
Wachstumstempo beibehalten, von dem viele ITDienstleistungsunternehmen und auch die
bereits erwähnten S&TUnternehmen profitieren. Auch die personalisierte
Gesundheitsversorgung wird voraussichtlich noch schneller wachsen als das Niveau des
allgemeinen Gesundheitssektors.
Auf 5-Jahres-Sicht wird es wahrscheinlich einen weiteren Konjunkturzyklus geben, so dass
auch zyklische Aktien irgendwann starke Wachstumsraten aufweisen sollten. Generell
glauben wir weiterhin an die positive Aktienauswahl bei deutschen Unternehmen. Wir sind
fest davon überzeugt, dass Deutschland weiterhin eine weltweit führende Position im
Bereich der kleinen und mittleren Unternehmen einnehmen wird. Kein anderes Land hat so
viele "Hidden Champions" wie Deutschland, vor allem in den Bereichen Elektrotechnik
und Industrieprodukte. Dies sind oft globale Branchenführer in ihren spezifischen
Nischenbereichen, die von Analysten meist übersehen werden. Diese mittelständischen
Unternehmen oder der Mittelstand stehen oft an der Spitze der Innovation: Sie finden
und definieren eine Nische und verkaufen dann auf internationaler Ebene. Mit rund 1.500
in Deutschland tätigen Unternehmen sind diese Hidden Champions eine der wichtigsten
Säulen der deutschen Wirtschaft und werden unserer Meinung nach langfristig das Wachstum
weiter vorantreiben.
Wie lautet Ihr Fazit zum deutschen Aktienmarkt?
Der deutsche Aktienmarkt bietet eine reiche Quelle für Unternehmen, die in Branchen
tätig sind, die kurz- und langfristig von zyklischem und strukturellem Wachstum
profitieren werden. Dies gilt speziell für Unternehmen im unteren bis mittleren Teil des
Marktkapitalisierungsbereichs, insbesondere für solche, die Maschinenbau- und
Industrieprodukte entwickeln. Aus unserer Sicht ist Deutschland mit seiner
branchenführenden Fertigungsindustrie, dem weltweit führenden Automobilsektor und
seinem Status als einer der bedeutendsten Nettoexporteure der Welt gut positioniert,
um von positiven globalen Wachstumstrends und einem möglichen Handelsabkommen zwischen
den USA und China zu profitieren. Das bedeutet nicht, dass die anderen Märkte keine
großen Unternehmen haben, in die sie investieren können, aber typischerweise wird der
deutsche Markt aufgrund seiner Verbindung zu großen zyklischen Unternehmen mit einem
Abschlag gegenüber anderen Aktienmärkten gehandelt. Das Ertragswachstum ist jedoch
langfristig gesehen ebenso gut, wenn nicht sogar besser als bei vielen anderen
Aktienmärkten.
Quelle: Investmentfonds.de
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