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10.09.2019:
LFDE Macroscope: Der Brexit - eine unendliche Geschichte?
Köln, den 10.09.2019 (Investmentfonds.de) -
Olivier de Berranger, Chief Investment Officer bei LFDE
La Financière de l'Echiquier
Am 26. Juni 2016 fällten die britischen Wähler nach einem erbitterten Kampf zwischen
Befürwortern und Gegnern des Brexit ihr Urteil: Das Vereinigte Königreich soll die
Europäische Union (EU) verlassen.
So lautete der Auftrag an die regierende konservative Partei. Aber bereits vor der
Abstimmung lagen Probleme auf dem Tisch, für die innerhalb der durch Artikel 50
gesetzten Frist keine Einigung gefunden werden konnte. Hinzu kamen viele parteiinterne
Konflikte. Mehr als drei Jahre nach dem Urnengang und mehr als fünf Monate nach dem
ursprünglichen Austrittstermin ist kein Ende in Sicht, und mit jedem Tag scheint das
Unwahrscheinliche letztlich doch möglich zu werden.
Die vergangenen zehn Tage stehen beispielhaft für die Komplexität der Lage sowohl im
Hinblick auf den politischen Prozess des Brexits an sich, als auch für die politische
Landschaft in Großbritannien. Am 28. August kündigte Premierminister Boris Johnson zur
Überraschung aller an, das mehrheitlich seinem Lager zugehörige Parlament für mehr als
einen Monat zu beurlauben, um ungehindert einen neuen Vertrag mit Brüssel aushandeln zu
können und das Parlament im Anschluss zu eiligen Debatten über den Ausgang des Brexit
zu zwingen (d. h. vom 14. bis 31. Oktober, dem Stichtag für den Austritt nach der ersten
Verschiebung). Die Regierung schien durch einen Handstreich die Kontrolle zurückerlangt
zu haben, und ein harter Brexit wurde wahrscheinlicher.
Nicht einmal eine Woche später gab es mit einem EU-freundlichen Überläufer aus der
konservativen Partei eine neue Überraschung, und die Johnson-Regierung verlor hierdurch
ihre Mehrheit im Parlament. Am selben Tag gelang es während einer Sitzung des Unterhauses,
die wohl in die Parlamentsgeschichte des "perfiden Albion" eingehen wird, einem fast
undenkbaren Zusammenschluss von Parlamentariern aus Opposition und Regierungspartei, ein
Gesetz zur Abstimmung zu stellen. Dieses Gesetz zwingt den Premierminister dazu, eine
Verschiebung um ein Quartal auszuhandeln, falls bis Ende Oktober keine Einigung erzielt
wird, und verhindert so einen ungeregelten Austritt. Zudem wurde ein Teil der Abweichler
ausgeschlossen. Die innen- und außenpolitischen Konflikte haben ihren Höhepunkt erreicht.
Ein harter Brexit ist wohl vorerst abgewendet und es wird voraussichtlich eine erneute
Verschiebung beschlossen. Auch wenn sich die Lage immer wieder ändern kann, erscheint die
Möglichkeit einer Verschiebung auf unbegrenzte Zeit am wahrscheinlichsten. Denn alle
offenkundigen Lösungen - Brexit im Rahmen des mit der EU ausgehandelten Abkommens, dessen
Neuverhandlung, harter Brexit - wurden mehrmals verworfen. Scheinbar können die Karten nur
durch einen lauten politischen Knall neu gemischt werden, doch vorerst scheinen weder
Regierung noch Parlament bereit, dieses Risiko einzugehen.
In der Zwischenzeit zeigt die britische Wirtschaft, nachdem sie sich bis Ende März 2019
dem Anschein nach robust entwickelte (die Wirtschaftsaktivität wurde zeitweilig dadurch
gestützt, dass die Bevölkerung aus Furcht vor einem harten Brexit damit begann, Waren
zu horten), aufgrund des Vertrauensverlusts durch die fehlende Transparenz, erste Risse.
Die Regierung ist sich dessen sehr wohl bewusst und kündigte mit der Erhöhung ihres Haushalts
um 15 Milliarden Euro (ein Anstieg um 4,1 %) soeben das Ende der zehn Jahre dauernden
Sparpolitik an. Unabhängig von Brexit oder Neuwahlen scheinen sich die beiden großen Parteien
zumindest in einer Sache einig zu sein: der Notwendigkeit einer expansiven Haushaltspolitik.
Daher könnten britische Aktien und das Pfund Sterling erneut das Interesse der ausländischen
Anleger wecken, sofern sie sich mit einer äußerst ausgedehnten Phase der Unsicherheit abfinden
können, dies jedoch im Rahmen einer Konjunkturpolitik, die dauerhafte Unterstützung böte.
Quelle: Investmentfonds.de
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