Investmentfonds.de
08.10.2019:
Unigestion-Marktanalyse: No use in Crying
Köln, den 08.10.2019 (Investmentfonds.de) -
Olivier Marciot, Senior-Portfoliomanager im Cross-Asset-Team beim
schweizerischen Vermögensverwalter Unigestion
No use in Crying Rolling Stones, 1981
Die Verschlechterung der US-Makrodaten hat die Marktstimmung in der vergangenen
Woche belastet und eine große "Risikoaversion" ausgelöst. Daher hat die Erwartung
einer US-Rezession stark zugenommen. Die Marktstimmung ist ein wesentlicher Treiber
für Anlagerenditen und kann durch menschliche Verhaltensmuster beeinflusst werden,
die dazu neigen, 1) kurzfristige Ereignisse im Vergleich zu längerfristigen
Perspektiven zu überschätzen, 2) dem Trend zu folgen, ohne zwischen Lärm und
Fundamentaldaten zu unterscheiden, und 3) sich in Zeiten schwachen Vertrauens mehr
auf negative als positive Ereignisse zu konzentrieren. Wir glauben, dass wir uns
in einem Umfeld befinden, in dem die Anleger überreagieren und die Auswirkungen der
Risiken, die sich am Horizont abzeichnen, verstärken. Wir sagen nicht, dass es keine
Risiken gibt, sondern dass die derzeitige Situation eine gründliche Analyse der Fakten
erfordert, um zu sehen, ob die Markterwartungen der Realität entsprechen oder ob die
Situation wirklich zum Heulen ist.
Habe ich das Wort "Rezession" gehört?
Zum zweiten Mal in Folge sank der ISM-Produktionswert unter die Schwelle von 50, was
historisch gesehen eine Verlangsamung der Konjunktur signalisiert. Letztmals hatten
wir ein solches Ereignis Ende 2015. In 2016 verbesserte sich die Wirtschaftslage dank
der verzögerten geldpolitischen Normalisierung der Fed. Heute, in einem Umfeld inverser
Zinskurven, einer starken Verlangsamung des Welthandels und zunehmender Unsicherheiten
über den Handelskrieg, die politische Situation in den USA und den Brexit, hat die
negative Makrodynamik zu höheren Rezessionserwartungen geführt.
Fallende US-Anleiherenditen preisen zwischen ein und zwei Zinssenkungen der Fed noch
vor Jahresende ein. Die implizite Volatilität und die Volatilität der Volatilität nahmen
stark zu, und Safe-Haven-Anlagen wie defensive Devisen und Gold haben sich zuletzt
ebenfalls gut entwickelt. Angesichts dieser negativen Stimmung stieg die
Wahrscheinlichkeit der New Yorker Fed, dass innerhalb von zwölf Monaten eine Rezession
eintritt, auf 38% an. Dies ist der höchste Stand seit 2008. So gesehen sollte das Lied
der Woche "Paint It, Black" lauten.
Was ist eine Rezession?
Doch obwohl "Schwarz" die Farbe der aktuellen Marktstimmung ist, sind die Fakten etwas
weniger dunkel. Trotz der derzeitigen Konjunkturabschwächung sind wir weit von einer
Rezession entfernt.
Erstens bedeutet Rezession historisch gesehen negatives BIP-Wachstum,
Einbruch der Beschäftigungszahlen, gedämpftes Lohnwachstum und niedrige Investitionen
in den Wohnungsbau.
Zweitens beruht die Rezession in der Regel auf zwei Schlüsselelementen:
1) Einem wirtschaftlichen Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage. Dies kann
durch eine Straffung der Geldpolitik geschehen, die eine wirtschaftliche Überhitzung
durch Kontrolle der Nachfrageseite verhindern soll, oder durch einen Angebotsschock,
der die Inflation auf ein unerträgliches Niveau drückt.
2) Dem Platzen einer Vermögensblase, weil die Preise in der Finanzwelt von der
Realwirtschaft abweichen.
Drittens ist die makroökonomische Verschlechterung zu Beginn der Rezession
weitreichend und betrifft alle Komponenten des BIP, einschließlich Wohnungsbau, Konsum,
Produktion, Investitionen und Beschäftigung.
Markiert die aktuelle Situation diese Kästchen? Die Antwort ist ein klares Nein.
Wie sieht die aktuelle Situation aus?
Seit 1979 hat das National Bureau of Economic Research (NBERI) in den USA vier
Rezessionen festgestellt. Im Durchschnitt lag das ISM Manufacturing in diesem Zeitraum
bei 42, während ISM Non-Manufacturing mit 46 etwas höher ausfiel. Ein Jahr vor dem
offiziellen Beginn der Rezession lagen diese Zahlen bei 49 bzw. 53. Die aktuellen Zahlen
liegen bei 47,8 und 52,6, also weit entfernt vom Rezessionsniveau. Sie entsprechen jedoch
den 12 Monate vorauslaufenden Zahlen, was die Markterwartungen eher bestätigen würde.
Allerdings ist die Situation bei anderen wichtigen Konjunkturindikatoren sehr
unterschiedlich. Während der Rezession lag das Verbrauchervertrauen der University of
Michigan im Durchschnitt bei 70 und ein Jahr vor der offiziellen Rezession bei 84.
Wir sind aktuell bei 93,2. Ähnliches gilt für den Einzelhandel und das verfügbare
Einkommen der Haushalte, die sich weit entfernt von Rezessionsdurchschnitten oder
einjährigen Forward-Messwerten befinden. die Schlüsselkomponente des US-BIP ist die
Beschäftigung, die weiterhin solide ist, wie die hohen Beschäftigungszahlen im September
zeigen. Während der Rezession sind die Beschäftigtenzahlen außerhalb der Landwirtschaft
negativ (durchschnittlich -225.000 seit 1979) und ein Jahr vor der Rezession 88.000.
Letzte Woche betrug diese Zahl 136.000 und der Durchschnitt der letzten zwölf Monate war
170.000. Daher ist es für uns schwierig, der Markterwartung überdie hohe Wahrscheinlichkeit
einer Rezession in den USA zuzustimmen.
Diese Ansicht wird von unserem US Nowcaster bestätigt, der die US-Wirtschaft in Echtzeit
verfolgt, mit Hilfe eines breiten Spektrums von Daten über die Teilkomponenten des BIP
hinweg: Wohnungsbau, Verbrauch langlebiger Güter, Produktionserwartungen, kurzfristiger
Konsum, Beschäftigung, Finanzierungsbedingungen und Investitionen. Gegenwärtig befinden
sich alle Komponenten, mit Ausnahme des Konsums von Gebrauchsgütern, im positiven Bereich.
In der Vergangenheit waren diese Komponenten ein Jahr vor der Rezession negativ. Was die
Makrorisiken angeht, gibt es heute nur wenige Elemente, die auf eine starke Verschlechterung
der US-Wirtschaft hinweisen. Auch die Fed ist dieser Ansicht, wie aus ihren
Wirtschaftsprognosen für die kommenden Jahre hervorgeht, die zeigen, dass das US-BIP nahe
seinem Potenzial liegt.
Es bestehen Risiken, aber die Investoren sind vorbereitet
Risiko ist mehrdimensional, wir überwachen daher neben den Makrorisiken auch die
Marktstimmung und -bewertungen, die kurz- und mittelfristig die Rendite von Vermögenswerten
beeinflussen können. Betrachtet man diese beiden Dimensionen, so ist das Gesamtbild
uneinheitlicher. Auf der Seite der Marktstimmung wurde das Vertrauen durch negative
Nachrichten über die Amtsenthebung und die ungelösten Situationen um den Handelskrieg und
den Brexit beeinträchtigt. Dies hat die jüngste Risikoaversion ausgelöst und wird die
Märkte weiterhin belasten. Das Worst-case-Szenario ist eine durch einen Teufelskreis
getriebene Finanzpanik, die alle Investitionsentscheidungen von Unternehmen und privaten
Haushalten auf Eis legen würde.
Wir glauben jedoch, dass Überraschungen mehr auf der positiven als auf der negativen Seite
liegen könnten. Die Positionierung zugunsten von Risikoaktiva ist gering und die Nachfrage
nach Hedging-Instrumenten hoch. Folglich könnte jede Rallye im Aktien- und Credit-Bereich
eine Auflösung der Absicherungen bewirken und dazu führen, dass manche Aktienindizes frühere
Höchststände testen.
Dies ist nicht unser zentrales Szenario, aber die Chancen dafür liegen weit über den
Markterwartungen.
Schließlich sehen wir im Gegensatz zu 2001 oder 2008 keine Blase bei der Preisgestaltung
von risikoreichen Anlagen. Der Carry durch Aktien- und Credit Spreads bleibt attraktiv und
steht nicht im Widerspruch zu den Fundamentaldaten, wie das anhaltende Ertragswachstum der
letzten Jahre zeigt.
Nach 10 Jahren positiven Wirtschaftswachstums in den USA wettet man gerne auf das Ende
dieses Zyklus. Die Entwicklung von Big Data und systematischen Signalen sollen dem Anleger
jedoch helfen, Fakten objektiver ins richtige Licht zu rücken und folglich Überschreitungen
der Märkte zu nutzen. Roboter sagen: Keine Rezession am Horizont. Lasst uns auf sie hören
und aufhören zu jammern. Deshalb behalten wir unsere wachstumsorientierte
Vermögensausrichtung in unserer dynamischen Asset-Allokation bei.
Quelle: Investmentfonds.de
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