Investmentfonds.de
19.01.2021:
Carmignac: Das Virus und der Rubikon
Köln, den 19.01.2021 (Investmentfonds.de) -
Didier Saint-Georges, Managing Director und
Mitglied des Strategic Investment Commitee beim
französischen Vermögensverwalter Carmignac
Das Virus und der Rubikon
Den meisten Anlegern ist bewusst, dass dank der
extrem lockeren Geldpolitik und des Beginns der
COVID-19-Impfkampagne die Aussicht auf eine in
wenigen Monaten einsetzende Konjunkturerholung
besteht. Das ist für die Aktienmärkte überaus
günstig.
Diese Feststellung erklärt nicht nur den allgemein
herrschenden Optimismus, sondern erinnert auch an
die Schlussbeobachtung von Carmignac`s Note im
Januar 2020, wo es hieß: "Die Märkte sind noch im
Rausch der Jahresenddynamik und somit zunehmend
verwundbar".
Die sehr einheitliche Positionierung der Anleger
am Anfang des neuen Jahres bereitet uns daher
Sorgen. Obwohl wir in Bezug auf die Aktienmärkte
auf kurze Sicht optimistisch sind, drehen sich
unsere mittelfristigen strategischen Überlegungen
um die sich nun andeutenden Spannungen: Zum einen
zwischen dem aus wirtschaftlicher Sicht positiven
Einfluss, den eine für ihr umfangreiches Konjunktur-
programm gewählte demokratische Mehrheit hat, und
zum anderen den Ungleichgewichten, die potenziell
mit diesem Szenario verbunden sind. 2021 könnte ein
komplexeres Jahr für die Märkte werden, als offenbar
allgemein angenommen wird.
"An die Realität wird man erinnert, wenn man sich
stößt" (Jacques Lacan)
Die Ankündigung der ersten Impfstoffe im November
letzten Jahres und die ersten Impfungen markierten
den Beginn einer neuen Marktphase, nämlich der
Aussicht auf ein Ende der Krise. Sobald die
Impfkampagnen eine kritische Masse erreichen, könnten
die Verbraucher das Vertrauen - und die Erlaubnis -
zurückerlangen, ihre Konsumwünsche zu erfüllen.
In der Realität gestalten sich die Fortschritte jedoch
außerordentlich schwierig. Angesichts logistischer
Probleme, Impfvorbehalten der Bevölkerung, der
schwierigen Frage der Reihenfolge der Impfungen, des
unterschiedlichen Tempos der einzelnen Länder und
neuer Varianten des Virus rückt die Aussicht auf eine
Rückkehr zur Normalität immer weiter in die Ferne. In
diesem Umfeld steigt die Gefahr, dass die Ausgangs-
beschränkungen erneut verschärft werden, und
gleichzeitig zieht sich diese immer noch sehr
schwierige Phase weiter in die Länge.
Solange die Staaten und die Zentralbanken ihre
Unterstützungsmaßnahmen im entsprechenden Umfang
fortsetzen, stellt dies nicht unbedingt ein Risiko für
die Marktentwicklung dar. Es bestärkt uns jedoch darin,
an unserer Art des Portfolioaufbaus festzuhalten, bei
der wir Aktien mit hoher Transparenz bevorzugen.
Aussicht auf einen mittelfristigen Kurswechsel der Märkte
Seitdem die Demokraten die Mehrheit im US-Senat stellen,
ist das Inflationsrisiko und mithin ein möglicher Rückgang
des US-Dollar wieder ein Thema. Allerdings hängt von den
Zinssätzen bis zu den Aktienbewertungen heute alles von der
zukünftigen Inflation ab. Daher bietet sich eine genauere
Betrachtung des Themas an.
Die Demokraten dürften auf jeden Fall die Umsetzung der von
Joe Biden versprochenen Maßnahmen verlangen, einschließlich
der "fortschrittlichsten". Dabei sollte man jedoch immer
bedenken, dass sie bei jeder Abstimmung auf die Stimmen der
gemäßigten Abgeordneten angewiesen sind. Folglich erwarten
wir 2021 zwar einen weiteren umfangreichen haushalts-
politischen Anreiz, halten es aber für wenig wahrscheinlich,
dass die radikalsten Punkte des Wirtschaftsprogramms
umgesetzt werden.
Im Übrigen besteht aufgrund der demografischen Entwicklung
und der technologischen Umbrüche nach wie vor ein hoher
struktureller Disinflationsdruck. Folglich ist das Risiko
eines Inflationsanstiegs 2021 aus unserer Sicht begrenzt,
wenn man von einem spürbaren, aber definitionsgemäß vorüber-
gehenden Basiseffekt absieht.
Diese Aussicht sagt jedoch nichts über die langfristigen
Tendenzen aus. Schließlich haben die Regierungen und
Zentralbanken, vor allem in den USA, 2020 den Rubikon
überschritten. Von nun an wird es politisch und
gesellschaftlich äußerst schwierig sein, den bereits
angelaufenen Trend zu mehr staatlicher Einmischung in die
Wirtschaft umzukehren.
Durch die demokratische Mehrheit im Kongress ist es zweifellos
wahrscheinlicher geworden, dass das vor 40 Jahren, in der Ära
Reagan-Thatcher, eingeführte Wirtschaftsmodell der
Deregulierung und Senkung der Steuerlast - kurz gesagt:
des Rückzugs des Staates - dauerhaft in Frage gestellt wird.
Die künftige US-Finanzministerin Janet Yellen hat ihre sehr
keynesianische Sichtweise in dieser Hinsicht nie verheimlicht.
Diese neue Wachstumsphilosophie könnte naturgemäß zu einer
bewussten Politik der Umverteilung des Reichtums zugunsten
der Löhne führen. Eine derartige Neugewichtung wäre günstig
für eine Trendumkehr bei Produktivität und Inflation. Um
darauf vorbereitet zu sein, halten wir beispielsweise
Positionen in verschiedenen zyklischen Sektoren in den USA
oder in Goldminen.
Ein 40 Jahre alter Trend sollte nicht blind verurteilt werden
und vorerst herrscht wirtschaftliche Ungewissheit, vor allem
in Europa. Abschließend sei angemerkt, dass 2020 nur China
nicht der allgemeinen Tendenz zur Flucht nach vorne gefolgt ist.
Das Land hat nicht nur die Pandemie in den Griff bekommen und
auf eine ungezügelte Geldschöpfung verzichtet, sondern
gezwungenermaßen auch gelernt, sich von den USA "abzukoppeln".
Daher finden wir auf diesem Markt zurzeit einen großen Teil
unserer auf Überzeugungen basierenden Anlagen.
Unsere allgemein ausgewogenen Portfolios und ein entschlossener,
aktiver Anlageprozess dürften im Jahr 2021, das sich als komplex
und somit chancenreich erweisen könnte, erneut wertvolle
Instrumente für unsere Fonds darstellen.
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Quelle: Investmentfonds.de
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