Investmentfonds.de
12.11.2021:
DPAM: NETTO-NULL-EMISSIONEN: ZUKUNFTSMUSIK ODER KINDERSPIEL?
Köln, den 12.11.2021 (Investmentfonds.de) -
Ophélie Mortier, Responsible Investment Strategist bei DPAM
NETTO-NULL-EMISSIONEN: ZUKUNFTSMUSIK ODER KINDERSPIEL?
Auch wenn das Ziel der Netto-Null-Emissionen, wie es
auf der COP26 propagiert wird, zweifellos lobenswert
ist, fragen sich Skeptiker, ob es überhaupt erreichbar
ist. Schätzungen zufolge werden die Kosten für den
Übergang zur Kohlenstofffreiheit auf 150 Billionen
Dollar über einen Zeitraum von 30 Jahren geschätzt
(d. h. das Doppelte des derzeitigen globalen BIP1).
Die Kosten sind eine Sache, aber um eine erfolgreiche
grüne Transformation zu gewährleisten, müssen die Mittel
auch in die richtigen Bereiche investiert werden.
Die Technologie wird zweifellos eine wichtige Rolle beim
Übergang spielen, aber einige Umweltprojekte befinden
sich noch in der Embryonalphase oder sind im globalen
Maßstab noch weitgehend unerprobt.
Sehen wir uns die vielversprechendsten Optionen zur Begrenzung
der Kohlenstoffemissionen und zur Bewältigung des Klimawandels
an, um bis 2050 ein "Netto-Null" zu erreichen.
VORLÄUFER DES WANDELS
Uns läuft die Zeit davon, den Klimawandel zu bekämpfen.
Erschreckenderweise sind wir auch mit unseren Ambitionen für
das Jahr 2050 in Verzug. Die Gründe für unser schleppendes
Agieren angesichts der Dringlichkeit der Klimakrise sind
vielfältig, wobei die langsame flächendeckende Nutzung
erneuerbarer Energien definitiv ein entscheidender Faktor ist.
Die Durchführung von Projekten im Rahmen der erneuerbaren
Energien dauert aufgrund der bürokratischen Komplexität
viel zu lange. Unzählige Genehmigungen, Dokumente und
Kontrollen können jedes dieser Projekte in einen
schwerfälligen Alptraum verwandeln. So hat beispielsweise
in Italien der für die ökologische Transformation
zuständige Minister sein Ziel hervorgehoben, den Zeitraum
für die Durchführung eines Projekts im Bereich der
erneuerbaren Energien von durchschnittlich 1.200 auf 200
Tage zu reduzieren. Die Unentschlossenheit der französischen
Regierung in der Frage, wer für die Erteilung von
Baugenehmigungen zuständig sein soll, hat in der
Vergangenheit alle Windenergieprojekte zum Stillstand
gebracht. Es liegt auf der Hand, dass solche staatlichen
Unzulänglichkeiten beseitigt werden müssen, bevor wir uns
auf eine nachhaltige Revolution gänzlich einstellen können.
Darüber hinaus sollten wir nicht vergessen, dass der Konsum
in den letzten Jahrzehnten absolut stets zugenommen hat und
wahrscheinlich weiter ansteigen wird, wenn nichts unternommen
wird. Unternehmen müssen sich lösen von Mengenbetrachtungen
und stärker übergehen zu wertorientierten Strategien, während
die Verbraucher unnötigen Konsum vermeiden müssen. Dies
erfordert einen vollständigen Paradigmenwechsel. Ein solches
neu formuliertes Konzept von „Wachstum“ wird erhebliche
Auswirkungen auf unsere derzeitigen ressourcenintensiven
Märkte haben. Konkret muss der Fußabdruck der Ressourcen in
den Bereichen Energie, Verkehr, Fertigung, Bauwesen,
Landwirtschaft und Lebensmittel in Angriff genommen werden.
Eine reduzierte Bürokratie und ein drastischer Rückgang des
Verbrauchs werden sich zweifellos positiv, wenn auch indirekt,
auf die Kohlenstoffemissionen auswirken. Wir müssen jedoch
auch über Möglichkeiten nachdenken, das Kohlenstoffproblem
direkt anzugehen und es an der Quelle zu bekämpfen.
DEM KOHLENSTOFF ENTGEGENTRETEN: WAS SIND DIE DREI ANSÄTZE?
Es gibt drei direkte Ansätze, um Kohlenstoffneutralität zu
erreichen: Reduzierung des (fossilen) Energieverbrauchs,
Begrenzung der Emissionen durch die Wahl umweltfreundlicherer
Verkehrsmittel und verstärkte Programme zur Kohlenstoff-
abscheidung und -speicherung. Um das "Netto-Null-Ziel" zu
erreichen, sollte der Klimawandel als zielgerichtete
Investition neu definiert werden, und die Märkte sollten
sich auf ein grünes, investitionsgestütztes Wachstum umstellen.
Um unsere auf fossilen Brennstoffen basierende Energiewirtschaft
wirksam zu reformieren, bieten sich erneuerbare Energien als
Alternative an. Die Stromerzeugung ist für 25 % der weltweiten
Kohlenstoffemissionen verantwortlich; Kohle, Öl und Gas machen
mehr als zwei Drittel der Stromerzeugung aus. Auch wenn der
Anteil der erneuerbaren Energien an der weltweiten
Stromerzeugungskapazität von 25 % im Jahr 2000 auf 37 % im Jahr
2019 gestiegen ist, sind diese Zahlen noch weit vom Ziel entfernt,
bis 2050 einen Wert von 80 % zu erreichen. Offensichtlich sind
noch weitere Anstrengungen erforderlich. Wasser- und Windenergie
werden bereits in großem Maße eingesetzt. Die Solarenergie könnte
die nächste erneuerbare Energiequelle sein, die in den Mittelpunkt
gerückt wird. Diese Energiequelle hat in den letzten zehn Jahren
von erheblichen Kostensenkungen profitiert, so dass sie
möglicherweise die günstigste Energiequelle ist. Eine weitere
erneuerbare Alternative ist Wasserstoff. Der Veredelungsprozess
für Wasserstoff hat in letzter Zeit erhebliche Verbesserungen
erfahren. Wir sind von grauem Wasserstoff (aus fossilen
Brennstoffen hergestellt) zu grünem Wasserstoff (Nutzung
erneuerbarer Energien für den Prozess der Wasserelektrolyse)
oder blauem Wasserstoff (Abtrennung des Wasserstoffs von Methan
mit Kohlenstoffabscheidung und -speicherung) übergegangen.
Mehrere multinationale Unternehmen aus dem Industrie-, Mobil-
und Heizungssektor sind vom Potenzial des Wasserstoffs besonders
überzeugt. TotalEnergies, Air Liquide und Vinci haben vor kurzem
einen Wasserstoffinfrastrukturfonds in Höhe von 1,5 Mrd. USD
aufgelegt. Sie hoffen, das Wachstum des Ökosystems des sauberen
Wasserstoffs zu beschleunigen, indem sie in große strategische
Projekte investieren und von einer Allianz aus Industrie- und
Finanzakteuren profitieren. Es gibt auch einige vielversprechende
Anwendungen für die Luftfahrtindustrie. Abgesehen von Flugzeugen
hat Wasserstoff ein breites Spektrum von Anwendungsmöglichkeiten:
Er eignet sich gut als saisonale Speicherlösung in Stromsystemen,
da er ideal für die langfristige Speicherung großer Energiemengen
ist. Darüber hinaus kann er zur Dekarbonisierung von Gebäuden
beitragen (z. B. Wärmepumpenanlagen, Elektrifizierung der Heizung).
Er kann auch als sauberer Kraftstoff für den Verkehr dienen
(Druckwasserstofftanks in Fahrzeugen mit einer Brennstoffzelle,
die die im Wasserstoff gespeicherte Energie in elektrische
Energie umwandelt). Und schließlich können schwer zu
dekarbonisierende Industrien wie die Stahl-, Zement- und
Düngemittelindustrie Wasserstoff als Rohstoff verwenden.
Ungeachtet seines Potenzials leidet die großtechnische Entwicklung
von Wasserstoff leider an mangelndem Interesse und an den
vergleichsweise niedrigen Kosten anderer erneuerbarer Energien.
Positiv zu vermerken ist, dass die Produktion von grünem
Wasserstoff in den USA bis 2030 mit Kosten von 1,07 bis 1,28
Dollar/kg2 den gleichen Preis wie blauer und grauer Wasserstoff
erreichen dürfte.
Unser zweites Instrument im Kampf gegen die Kohlenstoffemissionen
ist die Wahl umweltfreundlicherer Transportmittel. Elektrofahrzeuge
sind die am häufigsten genannte Lösung für dieses Problem. Der
Verkauf von Elektrofahrzeugen in Europa dürfte in naher Zukunft
einen hohen Verbreitungsgrad erreichen. Auch in China ist ein
erhebliches Wachstum zu verzeichnen, das vor allem durch gesetzliche
Regelungen unterstützt wird. Auch Indien hat einige Maßnahmen
ergriffen, um die Verbreitung von Elektrofahrzeugen zu fördern.
Trotz dieser vielversprechenden Aussichten gibt es noch einige
Probleme, die gelöst werden müssen, damit sie einen vollwertigen
Beitrag zu unseren Netto-Null-Zielen leisten können. Die größte
Herausforderung ist nach wie vor der Herstellungsprozess der
Batterien, die Herkunft des Stroms, mit dem diese Batterien betrieben
werden, und die Größe der Fahrzeuge. Darüber hinaus besteht die reale
Gefahr der Ressourcenknappheit. Nickel und Lithium, beides
Schlüsselelemente in Elektroauto-Batterien, werden voraussichtlich
schon 2024 zur Neige gehen. Recyclinglösungen und Lebenszyklusprodukte
sind für eine erfolgreiche Elektrifizierung der Mobilität unerlässlich.
Elektroautos sind jedoch nicht die einzige Lösung, um die
Verkehrsindustrie zu revolutionieren. Biokraftstoff ist eine weitere
Option, um Diesel und Benzin in Branchen wie der Luftfahrt zu ersetzen.
Biokraftstoffe können in der Tat eine wichtige Rolle im zukünftigen
Energiemix spielen. Sie können aus Nahrungsmittelpflanzen
(1. Generation) hergestellt werden, was jedoch aufgrund der
Auswirkungen auf die Land- und Wassernutzung weitgehend nicht
nachhaltig ist. Biokraftstoffe können auch aus Non-Food-Rohstoffen
wie Abfällen, Holz, tierischen Fetten usw. gewonnen werden
(2. Generation). Schließlich können sie auch aus Algen hergestellt
werden (3. Generation). Wie bei Wasserstoff ist die Verwendung von
Biokraftstoff noch begrenzt. Es wird jedoch erwartet, dass er bis
2030 auf 4 % der weltweiten Verkehrskraftstoffe ansteigen wird3.
Der dritte und letzte Punkt ist die Kohlenstoffabscheidung und
-speicherung. Obwohl dieses Verfahren etwas umstritten ist,
bleibt es die einzige Möglichkeit, die Emissionen der schwer zu
dekarbonisierenden Industrien wie Stahl, Zement und Chemie zu
reduzieren. Um den Temperaturanstieg auf weniger als 2 °C zu
vermeiden, ist der Investitionsbedarf immens. Die Schätzungen
variieren bis 2050 auf bis zu 2,5 Billionen Dollar. Derzeit gibt
es nur wenige Programme zur Kohlenstoffabscheidung und
-speicherung, die nur langsam umgesetzt werden. Dies hat manche
dazu veranlasst, stattdessen für eine Bepreisung von Kohlenstoff
zu plädieren. Die Frage der grenzüberschreitenden Besteuerung und
das Potenzial für einen globalen Kohlenstoffmarkt werden immer
wichtiger werden.
Um den Übergang zu einer kohlenstofffreien Wirtschaft ordnungsgemäß
durchzuführen und zu bewältigen, müssen die Interessen dreier
wichtiger Parteien in Einklang gebracht werden: Regierungen,
Unternehmen und Endverbraucher. Langfristig sollte die
Dekarbonisierung für die Verbraucher deflationär sein. Während des
Übergangs können die Kosten jedoch steigen, ebenso wie die
Volatilitätsspitzen (die jüngsten Strompreisspitzen sind ein gutes
Beispiel dafür). Es ist unwahrscheinlich, dass die Verbraucher
bereit oder in der Lage sind, einen erheblichen Aufpreis für
"grüne Lösungen" zu zahlen, so dass die Regierungen eingreifen
müssen, um den Übergang zu erleichtern. Dies dürfte die zunehmenden
"Schmerzen" für Unternehmen bzw. Verbraucher lindern. Die
Autoindustrie ist derzeit führend und hat dank staatlicher Anreize,
die die "grüne Auswahloption" für den Endkunden zumindest gleich
teuer machen, einen klaren Weg für den Übergang zu Elektroautos.
Dies hilft den Unternehmen, ihre für die Umstellung benötigten
Investitionen zu erhöhen. Versorgungsunternehmen müssen einen
Weg finden, um mittelfristig Strompreiserhöhungen zu vermeiden,
bevor unsere Gesellschaften den Übergang zu einer vollständig auf
erneuerbaren Energien basierenden Wirtschaft vollzogen haben.
Schließlich müssen auch die Kohlenstoffpreise deutlich höher sein,
um die Dekarbonisierung in energieintensiven Sektoren weiter zu
fördern. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es immer noch
möglich ist, den nachhaltigen Weg in die Zukunft zu beschreiten.
Allerdings müssen wir mit vielen verschiedenen Faktoren effizient
und rechtzeitig jonglieren, um einen effektiven Übergang zu einer
kohlenstoffneutralen Zukunft zu gewährleisten. Zugegeben, die Liste
der zu erledigenden Aufgaben ist lang. Es wird sich herausstellen,
ob die COP26 diese Punkte in die Praxis umsetzen kann.
1Quelle: BoFa
2Quelle: Morgan Stanley
3Quelle: ‚Decarbonisation: The race to net zero‘,
Morgan Stanley Research (21. Oktober 2019)
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