LFDE Macroscope: Die Märkte im Fieber
Olivier de Berranger, Chief Investment Officer, La Financière de l'Échiquier
"Klein, aber oho." Auch wenn mit dieser bekannten Redensart eigentlich eher Anerkennung im positiven Sinne ausgedrückt werden soll, beschreibt sie derzeit sehr treffend den unsichtbaren Gegner, der mit seiner Ausbreitung und den damit verbundenen Konsequenzen große Besorgnis an den Märkten ausgelöst hat: das Coronavirus.
Aufgrund dieser Bedrohung sind die Anleger seit Montag vergangener Woche im Verkaufsfieber. Dieser war in den USA der schwärzeste Börsentag seit Februar 2018 und der S&P 500 verlor 3,4 Prozent an Wert. Auch an den folgenden Tagen konnte der Abwärtstrend nicht gebremst werden: Der S&P 500 schloss den Dienstag und den Donnerstag mit 3 Prozent beziehungsweise 5 Prozent im Minus. Noch nie kam es in einem derart kurzen Zeitraum zu einem Marktrückgang um 10 Prozent. Alle Sektoren sind betroffen, in erster Linie der Tourismus, die Banken und Rohstoffe, wobei die Infrastruktur etwas weniger schlecht abschneidet.
Der Markt erwartet Maßnahmen der Zentralbanken und rechnet mit mehr als drei Zinssenkungen durch die US-Notenbank Fed binnen eines Jahres. In China hat die Zentralbank durch neue Zinssenkungen begonnen, Liquidität in den Markt zu pumpen, während die Regierung Konjunkturmaßnahmen zur Stützung der Unternehmen ergriffen hat. Konkrete Signale der westlichen Staaten und Zentralbanken lassen hingegen noch auf sich warten. Auch wenn EZB-Präsidentin Christine Lagarde erklärte, dass die Europäische Zentralbank die Entwicklung des Virus "genau beobachten" werde, wurden weder in Europa noch in den USA bisher irgendwelche offensichtlichen Maßnahmen ergriffen.
Eine Zinssenkung der Zentralbanken würde die finanziellen Bedingungen notleidender Unternehmen lockern, aber weder die Lage der Unternehmen noch der Menschen unmittelbar verbessern. Hierfür ist ein zwischen den Staaten abgestimmtes Konjunkturprogramm erforderlich, damit die am stärksten betroffenen Unternehmen steuerlich entlastet und insbesondere Krankenhäuser, Forschungslabore und Pflegedienste unterstützt werden können. Eine akkommodierende Haltung der Zentralbanken ist hierfür unverzichtbar.
In der Zwischenzeit wenden sich die Anleger den als sicher geltenden Staatsanleihen zu. Die Zinsen auf zehnjährige US-Staatsanleihen erreichten mit weniger als 1,20 Prozent ein neues Rekordtief und spiegeln die Konjunktursorgen in den USA wider, die bisher jedoch weitgehend verschont blieben. Auch wenn Gold am 24. Februar mit fast 1.700 US-Dollar Höchststände erreichte, profitierte es erstaunlich wenig von der Risikoaversion zum Ende der Woche.
Es könnte jedoch schon bald Licht am Ende des Tunnels zu sehen sein. Covid-19 ist mittlerweile in rund 40 Staaten aufgetreten. In China, wo die Anzahl der täglichen Todesfälle weiter zurückgeht, scheint die Epidemie langsam abzuflauen: Die Betriebe nehmen ihre Tätigkeit wieder auf, und der chinesische Aktienmarkt behauptete sich in der vergangenen Woche viel besser als die Märkte im Westen.
All dies lässt eine Phase mit Marktturbulenzen erwarten, die heftig, aber kurzlebig sein könnte. Sobald der erste Hoffnungsschimmer zu erkennen ist, könnte die Erholung sehr rasch vonstattengehen. Zahlreiche Faktoren sind günstig: Die Ölpreise werden ebenso wie die Zinssätze sehr niedrig sein, und es werden gewiss umfangreiche Konjunkturanreize geschaffen werden. Aus einer Krise entsteht häufig das Heilmittel für künftige Krisen. Bisher erwies sich die Börse daher auf lange Sicht stets als gute Anlage.
Trotz der aktuellen Ängste wird sich die Geschichte in diesem Punkt wiederholen. Geduld bleibt nach wie vor eine Tugend.
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