Investmentfonds.de
26.07.2022:
J.P. Morgan AM: Droht 2022 die Rezession?
Köln, den 26.07.2022 (Investmentfonds.de) -
Tilmann Galler, Kapitalmarktstratege bei J.P. Morgan Asset Management
Droht 2022 die Rezession?
- Hohe Inflation schwächt Nachfrage und erhöht Rezessionsrisiko
- Zentralbanken werden neben Inflation auch auf Wachstum achten
- Märkte haben noch keine tiefe Rezession eingepreist
Frankfurt, Juli 2022 - Nach einem für viele Märkte schwierigen ersten
Halbjahr 2022 bleibt laut den Experten von J.P. Morgan Asset Management
auch die zweite Jahreshälfte herausfordernd. Drängendste Frage ist aktuell,
wie es mit der Inflation weitergeht und ob diese zu einer Rezession führt.
Angesichts des Wechselspiels zwischen Inflations- und Rezessionsgefahr
stehen die Zentralbanken und wie sie auf diese Situation reagieren
besonders im Fokus. Während in den USA der enge Arbeitsmarkt die Inflation
weiter befeuert, stechen in Europa derzeit vor allem die Risiken bei der
Energieversorgung hervor. Vor diesem Hintergrund fragen sich Anlegerinnen
und Anleger, inwiefern ein Rezessionsrisiko an den Kapitalmärkten bereits
eingepreist ist und wie man sich am besten positionieren sollte.
Tilmann Galler, Kapitalmarktstratege bei J.P. Morgan Asset Management,
spricht bei der Vorstellung des "Guide to the Markets" für das 3. Quartal
2022 davon, dass zur Einordnung der aktuellen Ereignisse zunächst eine
"Vergangenheitsbewältigung" sinnvoll sei: "Das erste Halbjahr war insofern
besonders, als dass fast alle großen Anlageklassen - bis auf Rohstoffe
und Hedgefonds - eine negative Entwicklung zu verschmerzen hatten. Der
starke US-Dollar hat diese für global investierte Euro-Anleger zwar noch
etwas abgemildert, aber die hohe Inflation hat die klassische Korrelation
zwischen Aktien und Renten außer Kraft gesetzt. Wenn diese
Diversifikationseffekte nachlassen und die Volatilität steigt, müssen
Portfolios noch breiter diversifiziert werden, um das Risiko zu verringern",
führt der Ökonom aus.
Verschiedene Komponenten der Inflation auf den beiden Seiten des Atlantiks
Ein Treiber der Inflation sind die anhaltenden Versorgungs- und Lieferengpässe,
wobei es laut Galler zwischen Rohstoffen wie Öl und Gas und den Gütermärkten
zu unterscheiden gilt. Auch die Engpässe auf dem Arbeitsmarkt sind nicht zu
vernachlässigen. "Nach Jahrzenten des Überflusses sind wir in einer Zeit des
Mangels angekommen", stellt Tilmann Galler fest. Aktuell gibt es in den USA
für jeden Arbeitssuchenden zwei offene Stellen, was das Lohnwachstum ebenso
wie die gesamtwirtschaftliche Nachfrage antreibt. Der Experte betont jedoch,
dass dies eine Momentaufnahme sei - im Laufe des Jahres sollte sich die
Inflation in den USA, die zuletzt auf über 9 Prozent geklettert ist, wieder
abschwächen.
Auch tragen auf beiden Seiten des Atlantiks unterschiedliche Komponenten zu
der Inflation bei. Energiekosten etwa treiben die Inflation in den USA nicht
so stark in die Höhe wie in Europa. In anderen Bereichen, wie etwa im
Automobilsektor, lösen sich die Engpässe nach und nach auf. Zukünftig dürfte
sich auch nach der Urlaubszeit die aufgestaute Nachfrage in vielen
Dienstleistungen verringern. "So langsam scheint der Peak überschritten zu
sein, denn die Verbraucher werden ihre Konsumgewohnheiten dem veränderten
Preisumfeld anpassen", betont Galler.
Ein wichtiger Aspekt ist, wie es den Konsumenten geht. Neben den inflationären
Verteuerungen bei Nahrungsmitteln oder an der Tanksäule ziehen in den USA laut
Galler auch dunkle Wolken am Immobilienmarkt auf. So verdoppelten sich die
US-Hypothekenzinsen zuletzt auf mehr als 6 Prozent, was die Kostenbelastung
für Immobilienkäufe oder Kreditrefinanzierungen steigert. Dies dämpft den
Immobilienmarkt und den Bausektor, wo zwar aktuell noch der Auftragsstau
abgebaut wird, aber es mittel- bis langfristig zu einem Rückgang kommen wird.
Sorgen, dass es zu einem Immobiliencrash wie bei der Finanzkrise kommt, sind
laut Galler jedoch unbegründet, da die Finanzierungen viel langfristiger und
solider als damals sind und es den Haushalten weiterhin sehr gut geht.
Rezessionsrisiken steigen
Nichtsdestotrotz haben sich die Rezessionsrisiken in den letzten 6 Monaten
deutlich erhöht. "Viele Frühindikatoren waren zum Jahresbeginn noch im grünen
Bereich und sind nun in Bereiche abgerutscht, die historisch auf ein erhöhtes
Rezessionsrisiko hingewiesen haben", führt Galler aus. Während in den USA
allerdings vor allem das verarbeitende Gewerbe auf ein kritisches Niveau
abgerutscht ist, sind in Europa zusätzlich das Verbrauchervertrauen und der
Einkaufsmanagerindex für Dienstleistungen "tiefrot". Der Arbeitsmarkt zeigt
sich dagegen weiterhin sehr robust, was den Konsum weiter stützen sollte.
"Die Kombination aus Inflation, Straffung durch die Fed und höheren
Hypothekenzinsen stellt sicherlich einen Gegenwind für die US-Wirtschaft dar.
Es ist in den USA in diesem Jahr aber eher eine technische Rezession zu
erwarten, statt eines tieferen Abschwungs - zumindest solange die
Beschäftigungslage weiterhin so gut ist", so Galler. Er erwartet, dass die
Kerninflation nun ihren Höhepunkt erreicht hat und die Zentralbanken
aufgrund der sich abschwächenden Inflationsdynamik wieder etwas
zurückhaltender agieren. "Sicherlich werden die US-Zinsen in diesem Quartal
kräftig steigen, aber die Geschwindigkeit der Zinserhöhungen wird sich
anpassen, sobald die Wirtschaft reagiert und sich Inflation und Wachstum
abschwächt", ist der Stratege sicher. In Europa, wo der Krieg in der Ukraine
und die Risiken der Energieversorgung die Rezessionsrisiken noch stärker
erhöhen, sollten die Anleger nicht zu große Zinsschritte erwarten.
Energierisiken in Europa beobachten
Die Gasversorgung aus Russland ist bereits seit Herbst 2021 rückläufig, wie
die Erdgasimporte zeigen. Entsprechend sind die Preise bereits seit dieser
Zeit massiv angestiegen, was die Rezessionsgefahr gerade in Europa steigen
lässt und sich immer mehr zu einem Standortnachteil für energieintensive
Branchen entwickelt. Aktuell ist die Situation um die Auffüllung der Gasspeicher
besonders kritisch. Die starke Saisonalität der Gasnachfrage, die ab Oktober
wieder stärker ansteigt, benötigt hohe Reserven, um im Winter die hohe Nachfrage
insbesondere der privaten Haushalte zu bedienen. Wenn man den historischen
monatlichen Bedarf zugrunde legt, wird deutlich, dass bei einem kompletten
Verzicht auf russisches Gas die Einspeicherung zu früh enden wird, weshalb das
Risiko besteht, dass im ersten Quartal des nächsten Jahres eine Gasknappheit
herrscht mit der Notwendigkeit von Rationierungen. Andererseits gibt es viele
Parameter, die den tatsächlichen Gasverbrauch beeinflussen, etwa wie warm der
kommende Winter sein wird oder wie erfolgreich die Einsparungsmaßnahmen für
den Gasverbrauch sein werden. Wenn es zu Rationierungen kommt, wird wiederum
zu klären sein, ob Haushalte oder die Industrie den Vorrang erhalten. Laut
Tilmann Galler sind dabei auch Zweitrundeneffekte zu bedenken, dass
beispielsweise die chemische Industrie viele Vorprodukte für andere Industrien
erstellt, was zu weiteren Engpässen führen könnte.
Asien als Diversifikator nutzen
Für China lässt sich vorsichtig optimistisch auf die Wirtschafts- und
Marktaussichten im zweiten Halbjahr 2022 blicken. Die Pandemie hat die
Wirtschaft in den letzten Wochen hart getroffen, insbesondere im Konsum
und auf dem Arbeitsmarkt. Dies veranlasst die Regierung, die fiskalischen
Anreize zur Wiederbelebung des Wirtschaftswachstums zu verstärken. Auch die
Zentralbankpolitik sollte das Wachstum stärker unterstützen.
So führte Tai Hui, Kapitalmarktstratege bei J.P. Morgan Asset Management in
Hong Kong in der Webkonferenz aus, dass die Einschränkungen in vielen anderen
Städte und Regionen nicht ganz so drastisch umgesetzt wurden wie in Shanghai.
"Die regionalen Regierungen haben aus den negativen Folgen der Lockdowns
gelernt und reagieren nun vielerorts flexibler und pragmatischer."
Chinesische Aktien sind laut dem Strategen immer noch günstig bewertet, was
sich insbesondere am Kurs-Buch-Wert zeige. Die chinesischen On- und
Offshore-Märkte werden weiterhin mit einem Abschlag zum langfristigen
Durchschnitt gehandelt. Vor dem Hintergrund höherer Energiepreise ist das
Gewinnwachstum aktuell eher niedriger, vor allem im Materialsektor. Aber
sowohl KGVs als auch KBV sind laut Tai Hui im historischen Durchschnitt
niedrig, was eine gute Einstiegsgelegenheit anzeigt.
Insgesamt hängt die ASEAN-Region rund 6 Monate hinter der Entwicklung in den
USA oder Europa her. "Aktuell öffnen immer mehr Märkte wieder, was die
Wirtschaft beflügeln und das Momentum der Unternehmensgewinne antreiben wird.
Einen besonderen Fokus sollte man dabei auf die Unternehmen legen, die weniger
exportorientiert, sondern in der Region Asien aktiv sind. Denn wenn die USA
und Europa in die Rezession gehen, sind die Unternehmen, die sich auf
Inlandsnachfrage konzentrieren, im Vorteil. Dies schafft gute Möglichkeiten
für eine Diversifizierung“, so Tai Huis Einschätzung. Aktuell sieht er
derzeit ein geringes Rezessionsrisiko in Asien, denn viele der langfristigen
Megatrends wie die Entwicklung einer konsumfreudigen Mittelschicht, sind
weiterhin intakt. Diese Mittelschicht entwickelt sich in der ganzen Region,
besonders stark in China und Indien, und fragt höherwertige Konsumgüter aber
auch Reisen oder Versicherungs- und Investmentprodukte nach. Und auch der
Bedarf an nachhaltigen Produkten wächst laut Tai Hui stetig.
So bewertet der Stratege auch die vorhandenen geopolitischen Risiken moderat.
"Die chinesische Regierung weiß, dass durch die engen Exportverknüpfungen mit
dem Rest der Welt jegliche Konfrontation den Lebensstandard der Bevölkerung
sehr stark einschränken würde. Es ist ein großer Unterschied zu Russland,
dass solch eine Situation vermieden werden soll", erläutert Tai Hui. Man
sollte also für die geopolitischen Risiken einen gewissen Risikoaufschlag
berücksichtigen, was die immensen langfristigen Wachstums-Chancen für
China-Investments aber nicht schmälert.
Neutrale Positionierung weiterhin sinnvoll
Abschließend hat Tilmann Galler einen Blick auf die Anlagechancen geworfen,
die sich im aktuellen Umfeld bieten. "Die Aktienkursrückgänge haben ein
Ausmaß angenommen, das durchaus mit einem Rezessionsumfeld assoziiert werden
kann. Allerdings sind bisher relativ wenige Abwärtsrevisionen bei den
Gewinnerwartungen zu sehen. Wir erwarten im Fall einer tieferen Rezession
deutlich stärkere Gewinnrückgänge, wie sie aktuell erwartet werden. Vor
diesem Hintergrund haben die jüngsten Kursverluste die Überbewertung an
den Aktienmärkten beseitigt, aber eine Rezession ist noch nicht eingepreist.
Doch für Investoren wurde langfristige Werthaltigkeit geschaffen",
erläutert Galler.
Zur Absicherung gegen die erwartete Volatilität wurde die Duration bei
Anleihen aus einer untergewichteten in eine neutrale Position umgeschichtet.
Die Präferenz liegt bei qualitativ hochwertigen Anleihen, auch im
Unternehmensanleihensektor. Im Segment der Hochzinsanleihen reflektieren
die Spreadausweitungen noch kein Rezessionsniveau. "Wir sehen den Sektor
zwar fundamental gut aufgestellt, denn die Unternehmen haben die
Niedrigzinsphase genutzt, um sich langfristig durchzufinanzieren", weiß
der Experte. Aber im Fall einer Rezession wird das eine oder andere
Unternehmen aufgrund der wegbrechenden Gewinne Probleme haben, die Coupons
zu bedienen.
Auf der Aktienseite präferiert er weiterhin Substanzwerte, ebenso wie
Dividendentitel. Die bevorzugten Regionen sind die USA, Großbritannien
und asiatische Aktien. "Es ist weiterhin sinnvoll, im Markt zu sein - mit
einer neutralen Gewichtung. Solange die Rezessionsrisiken größer werden
ist es jedoch noch zu früh, Aktien überzugewichten",
so das Fazit von Tilmann Galler.
Die Aussagen einer bestimmten Person geben deren
persönliche Einschätzung wieder (J.P. Morgan AM).
Die zur Verfügung gestellten Informationen erheben
keinen Anspruch auf Vollständigkeit und stellen
keine Beratung dar (J.P. Morgan AM)
Quelle: Investmentfonds.de
|