Investmentfonds.de
22.04.2005:
Activest: Im Osten viel Neues
Köln, den 22.04.2005 (Investmentfonds.de) - Timm Rotter, Deutsche Journalistenschule
München - Wer nach Osten schaut, wird heute vor allem vom Aufschwung Chinas und
Indiens geblendet. Doch so weit muss man gar nicht blicken: Russland, das auch nach
dem Ost-West-Konflikt noch Jahre lang als schwerfälliger Koloss galt, boomt. Für
deutsche Firmen ist die Entwicklung der Weltmacht besonders interessiert, denn aus
keinem anderen Land sind so viele Unternehmen dort aktiv. Doch Russland hat auch
seine Risiken, so Tim Rotter im Bericht für Activest.
Im Osten viel Neues
Schon Willy Brandt hat es gewusst: "Der Schlüssel liegt in Moskau", sagte der Ex-
Bundeskanzler vor 35 Jahren, als er über die Bedeutung der damaligen Sowjetunion für
die deutsch-deutsche Wiedervereinigung sinnierte. Inzwischen ist die UdSSR längst
Geschichte, genauso wie DDR und Ost-West-Konflikt. Doch Bundeskanzler Gerhard Schröder,
der sich gerne in der Tradition von Brandt sieht, handelt weiterhin gemäß dessen
'Schlüssel-Grundsatz'. Ging es Brandt vor 35 Jahren vor allem um Friedens- und
Europapolitik, so hat Schröder neben dem europäischen Gedanken vor allem die Ökonomie
im Fokus. Russland ist die aufstrebende Wirtschaft in Europa schlechthin, das weiß
der Kanzler und macht die Kontakte zu Moskau daher zur Chefsache.
"Die Unzertrennlichen"
Was ihm dabei hilft, ist sein gutes Verhältnis zu Präsident Wladimir Putin. Keinen
anderen Staatschef kennt er so gut wie den Russen, mit keinem hat er sich während
seiner Amtszeit so oft getroffen. Im Winter jubelte Schröder, die deutsch-russischen
Beziehungen hätten "eine Tiefe erreicht, wie sie noch nie da war". Wenn die beiden
Staatsmänner im Mai gemeinsam des Endes des Zweiten Weltkriegs gedenken, wird es ihr
30. Treffen sein. Das Verhältnis der beiden ist herzlich, sie duzen sich und haben
schon mehrmals gemeinsame Ferientage im Schwarzmeer-Idyll Sotschi verbracht. Und da
der Russe deutsch spricht, ist auch die Kommunikation ein Kinderspiel. So wie sie
beide jetzt auf der Hannover-Messe gut gelaunt durch die Ausstellung schlenderten
und sich gemeinsam am Steuer eines Mähdreschers fotografieren ließen - man hätte
meinen können, sie seien Schulfreunde. 'Die Zeit' nannte sie vor kurzem gar "Die
Unzertrennlichen".
Deutschland ist Moskaus wichtigster Handelspartner
Doch hinter der Männerfreundschaft steckt auch eine Menge Pragmatismus. Putin hofft,
dass Deutschland als stärkste Macht Europas die Interessen Russlands in der EU
vertritt. Dazu gehören Moskaus Sorge vor der EU-Erweiterung und wirtschaftliche
Beziehungen. Schröder andererseits will die lahmende deutsche Wirtschaft wenigstens
zwischen St. Petersburg und Sibirien zum Vorreiter machen. Denn in Russland gilt: Im
Osten viel Neues - das Land boomt. Lag es noch vor sieben Jahren wirtschaftlich am
Boden, war faktisch pleite und nur durch einen Milliarden-Kredit des Internationalen
Währungsfonds zu retten, so lockte es zuletzt mit einem jährlichen Wirtschaftswachstum
zwischen fünf und zehn Prozent. Zahlen, von denen Rest-Europa träumt. Schon heute ist
Deutschland für Moskau der wichtigste Handelspartner, die 31 Milliarden Euro
Warenumsatz in 2004 bedeuteten ein Allzeithoch. Während Deutschland hauptsächlich
Maschinen und Anlagen sowie chemische Erzeugnisse und Kraftfahrzeuge ausführt, erhält
es aus Russland vor allem Öl und Gas.
Der Rohstoff-Reichtum - Fluch und Segen
Sein Rohstoffreichtum - für Russland ist er Fluch wie Segen zugleich. Ein Viertel
des gesamten Bruttosozialprodukts erwirtschaftet es mit Energierohstoffen und ist
damit wie kaum ein anderes Land abhängig von deren volatilen Weltmarktpreisen. Deren
derzeitige Hausse verwöhnt die Russen zweifelsohne, ein Verfall würde sie in Not
bringen. Auch für den Moskauer Aktienmarkt, der seit Jahren boomt (der maßgebliche
Index MSCI EM Eastern Europe stieg binnen drei Jahren um satte 120 Prozent), wäre
das eine Katastrophe. Allerdings: Das Risiko erscheint angesichts der weltweiten
Rohstoff-Verknappung gering.
Die Wirtschaftspolitik sorgt die Anleger
Doch die Öl- und Gasabhängigkeit ist es nicht allein, die Russland-Experten Sorgen
bereitet: Teilweise verweigert das Riesen-Reich noch die wirtschaftspolitische
Öffnung. So wurden zuletzt auf politischen Druck hin Versteigerungen von Öl-Förder-
lizenzen abgeblasen, da dort internationale Konzerne zu gewinnen drohten. Auch beim
Versuch von Siemens, den Turbinenbauer Silowyje Maschiny zu kaufen, legte die Politik
ihr Veto ein. Als letztes - und schlagzeilenträchtigstes - Beispiel sei die staatlich
protegierte Zerschlagung des privaten Ölkonzerns Yukos genannt. Yukos musste weichen,
damit der staatliche Konkurrent Gazprom zum Welt-Marktführer aufsteigen konnte. Auch
außenpolitisch sorgt die Regierung Putin weltweit immer wieder für Kopfschütteln. Das
war im Tschetschenien-Krieg so und das war zuletzt bei der Regierungskrise der Ukraine
so. Schröder allerdings verhält sich in solchen Situationen meist auffällig still,
adelte Putin sogar zum "lupenreinen Demokraten", was Kritiker mahnen lässt: "Deutsche
Politiker verschließen die Augen und haben einseitig Wirtschaftsinteressen im Blick."
3500 deutsche Firmen sind schon in Russland aktiv
Aber gibt es auch viele Lichtblicke: So unterzeichnete Siemens während der Hannover
Messe das bisher bedeutungsvollste deutsch-russische Jointventure - nun baut der
Münchner Konzern russische Hochgeschwindigkeitszüge. Investitionen von 1,5 Milliarden
Euro stecken in dem Projekt, das auf ein Jahrzehnt in Deutschland tausende Jobs
sichern wird.
Quelle: Investmentfonds.de
|