Investmentfonds.de
14.07.2010:
Pimco: Verleih’ drei und bekomm’ zwei zurück (oder) Verleih’ zwei und bekomm’ drei zurück
Köln, den 14.07.2010 (Investmentfonds.de) - Schulden bringen Ärger – für Schuldner
und Gläubiger gleichermaßen. Schon Shakespeare hat vor langer Zeit weise geraten:
Sei weder Gläubiger noch Schuldner. Das klingt vermutlich nach einer seltsamen
Warnung gerade von mir; schließlich helfe ich dabei, im Auftrag unserer Kunden mehr
als eine Billion Dollar zu verleihen – und vermutlich ist es deshalb auch eine
seltsame Warnung. Aber es gab einmal eine Zeit, da hatte ich eine Menge Ärger, weil
ich Geld verliehen hatte. Das war 1968 und es hat mir wirklich viel Ärger gebracht;
so viel, dass ich es bis heute bereue, diese Geschäfte gemacht zu haben. Ich war
damals ein Marineoffizier und segelte zwischen dem Delta des Mekong und der Bucht
von Manila. Merkwürdigerweise habe ich meine moralische Orientierung nicht in
Vietnam verloren, sondern auf den Philippinen. Ich hatte auf dem Schiff eine
Art schwimmende Kredit-Agentur gestartet. Man könnte auch sagen, dass ich versucht
habe, als Kredithai Geld zu verdienen. Mein Geschäftsmotto lautete: „Ich verleihe
zwei und bekomme drei zurück.“ Sie wissen, wie es ist: Seemänner haben, wenn
sie an Land sind, immer zuwenig Geld und ich war damals nur zu gern bereit,
ihnen auszuhelfen. Ich selbst war damals verlobt und hatte mir selbst eine Art
Sperrstunde auferlegt: Ein Bier am Abend und um neun Uhr war Schluss.
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Meine „Ich verleihe zwei und bekomme drei zurück“- Formel klang für meine Kameraden
ziemlich harmlos, schließlich ging es um Geschäfte zwischen Freunden und was
war schon ein Dollar, wenn man kurz davor war, an Land zu gehen und ordentlich
zu feiern. Aber, wie ich bereits angedeutet habe, war es kein wirkliches
Geschäft unter Freunden. Meine Kameraden mussten das Geld nur wenige Wochen
später zurückzahlen, wenn wir wieder auf hoher See waren und ich die Forderungen
leicht eintreiben konnte. Und der Ertrag lag auf das Jahr hochgerechnet weit
über 1000 Prozent, wie die meisten von uns leicht ausrechnen können. Nun gibt
es Zinswucher und es gibt schweren Diebstahl und mein Kredit-Unternehmen
gehörte sicherlich zur letzteren Kategorie. Die Summen waren klein, schließlich
bekamen ich und meine Kollegen nur Gehaltsschecks über ein paar hundert Dollar,
aber wenn 200 Dollar verzinst 300 Dollar ergaben, die wieder mit Zinseszinsen
zu 450, 675 oder 1000 Dollar wurden – nun ja, Sie verstehen. Es waren nicht
viele Häfen nötig, bis es soweit war, dass bei vielen meiner Kollegen der
nächste Gehaltsscheck von Uncle Sam bereits Onkel Bill gehörte, bevor sie ihn
überhaupt bekamen. Und ich wurde so der Finanzpate meines Schiffs. Aber es
dauerte nicht lange, bis der tatsächliche Pate des Schiffes – El Capitan – Wind
bekam vom wachsenden Vermögen des Fähnrich Gross. Anstatt sich jedoch einen
Teil meiner Einnahmen zu sichern, tat er, was jeder Kapitän getan hätte: Er
zwang mich, meinen Kameraden das ganze Geld zurückzugeben und ich bekam
Schiffsarrest: Für den Rest meiner Fahrt durfte ich nicht an Land gehen.
Kein Bier, kein Sightseeing in Tokio auf dem Weg nach Hause, kein gar nichts.
Eine Zeit lang habe ich drei zurückbekommen, aber letztlich bekam ich vor
allem eine Menge Ärger. Wohlverdienten Ärger, würde ich sagen und ich habe
meine Lektion gelernt. Seitdem habe ich nie wieder 1000 Prozent Zinsen verlangt!
Eine andere Lektion, die ich in den vergangenen 40 Jahren gelernt habe, ist,
dass man nicht nur „Zwei verleihen und drei zurück bekommen“ kann, sondern,
dass Anleger auch „Drei verleihen und zwei zurückbekommen“, wenn es schlecht
läuft. Manchmal bekommen Anleger auch gar nichts zurück, dann nämlich wenn ein
Schuldner Insolvenz anmeldet. Darum verlangen Kreditgeber Prämien für „riskantere“
Kredite. Was besonders riskant sein kann, ist zwar häufig ein sehr subjektives
Urteil, etwa im Fall von J.P. Morgan, der vor langer Zeit einmal als oberstes
Prinzip bei der Kreditvergabe angab, dass er auf „Charakter“ achte, weit mehr
als auf „Vermögen oder Sicherheiten“. Trotzdem wird ihnen ein guter Charakter
nicht viel helfen, wenn ihre finanzielle Ausgangssituation nicht stimmt. Wenn
Sie von einer Schuldenlast schier erdrückt werden, und ihre Seele sprichwörtlich
schon der Bank gehört, kann auch guter Charakter bei Kreditverhandlungen nicht
mehr viel helfen. Genau diese Beschreibung trifft nicht nur für die heutige
Situation der privaten Haushalte in den USA zu sondern auch auf die Finanzlage
vieler Staaten. Die Schuldenlast kann sich über Jahrzehnte aufbauen, aber dann
innerhalb weniger Monate zu einer Krise werden. Viele Anleger, Ökonomen und
Politiker verstehen kaum oder gar nicht, wie die Einstellungen von Anlegern
und ihre Kreditstandards sich so abrupt ändern können. Und wie eine scheinbar
harmlose Anhäufung von Schulden nach dem Motto „Verleihe zwei und bekomm’ drei
zurück“ plötzlich eine Krise schaffen kann wie 1968 an Bord meines Schiffes.
Diese Traumtänzer handeln nach der Devise, dass Märkte, Arbeitsplätze und
Volkswirtschaften „wieder zulegen werden“. „Ich warte, solange, bis es wieder
aufwärts geht“, ist ein geflügeltes Wort unter Anlegern, die im Minus sind,
genauso wie „Es wird sich schon etwas ergeben“ der traurige Refrain vieler
Arbeitssuchender ist. Manchmal aber geht es nicht wieder aufwärts. Und manchmal
ergibt sich auch nichts. Manchmal verleihen Sie drei und bekommen nur zwei
zurück – in der Finanzwirtschaft genauso wie in der realen Wirtschaft.
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In diesen Zeiten ist entscheidend, wie viele Schulden ein Schuldner hat und
wie gut er aus dieser Schuldenlast herauswachsen kann. Wie viele Schulden sind
zu viele? Wie wenig Wachstum ist zu wenig? Das weiß niemand sicher. Wirtschafts-
historiker wie Kenneth Rogoff weisen aber darauf hin, dass Schuldenstände von
80 bis 90 Prozent des BIP das reale Wachstum eines Landes bremsen und dass bei
solchen Niveaus die Schuldenlast schwerer und schwerer auf der jeweiligen
Volkswirtschaft wiegt. Griechenland hat diese Demarkationslinie bereits über-
schritten; auch das ist ein Grund, warum private Gläubiger sich sträuben, dem
Land zu helfen. Wenn man zu den Staatsschulden noch die Schulden der Unternehmen
und Haushalte hinzuzählt, wird es noch schwerer die Lage des Landes zu beurteilen,
denn historische Statistiken zum Vergleich fehlen und Unternehmen sind heute
multinationaler als jemals zuvor in der Geschichte.
Wer allerdings den Schulden-Super-Zyklus in den USA betrachtet, braucht nur seinen
gesunden Menschenverstand, um einzusehen, dass diese Entwicklung eine Dimension
erreicht hat, die nicht nachhaltig ist und dass es durch „Wachstum“ kaum zu
schaffen ist, die Schulden zu bedienen, falls die Zinsen wieder steigen sollten.
Deshalb waren Gläubiger vor 18 Monaten störrisch, als Lehman um Liquidität gekämpft
hat und deshalb beginnen sie wieder zu scheuen. Zu hohe Schulden und zu wenig
Wachstum schaffen Situationen, in denen gilt: „Ich verleihe drei und bekomme zwei
zurück.“ Und unter solchen Bedingungen weigern sich private Anleger, zusätzliche
Kredite zu gewähren.
Zugegeben, die hochverschuldeten Nationen machen im Moment die Versprechen, die
der Kapitalmarkt hören will und in einigen Fällen haben sie Gesetze verabschiedet,
die versprechen, das Wachstum der Schuldenlast zu bremsen. Nicht nur Griechenland
und die Länder an der südlichen Peripherie der Eurozone schlagen Alarm, sondern
auch Frankreich, Großbritannien, Japan und selbst die USA. Und das könnte
letztlich dazu führen, dass sie ihre Haushalte stärker ausgleichen und ihre
Defizite, gemessen in Prozent des BIP, reduzieren. Trotzdem fragen sich abwehr-
bereite Anleihen- und Aktien-Anleger, ob viele Staaten nicht bereits zu weit
gegangen sind und der einzige Ausweg für diese Regierungen der Staatsbankrott
ist – oder um die oft benutzte höflichere Formulierung zu verwenden: „eine
Umschuldung“. Die EU und der IWF verlangen von Griechenland den restriktiven
Zinssatz von LIBOR+300-350 Basispunkten und unter diesen Bedingungen gibt es kein
vernünftiges Szenario, in dem Griechenland aus der gegenwärtigen Schuldenlast
„herauswachsen“ könnte. Ausgabenkürzungen verringern zwar das Defizit, schaffen
aber kurzfristig weniger und immer weniger Wachstum. Gekürzte Haushalte schaffen
Entlassungen von Staatsangestellten, Gehaltskürzungen, gekürzte Renten. Das
wiederum drückt den privaten Verbrauch und die Fähigkeit des privaten Sektors,
die Konjunktur zu stützen wenn die staatlichen Konjunkturpakete auslaufen und
der Staat seine Ausgaben senkt. Die Rezession wird so zu einer vollendeten
Tatsache und das Verhältnis von Defizit zu BIP steigt, weil die Risikoprämien
steigen und das BIP sinkt. In vielen Fällen können die Länder deshalb der
Schuldenkrise gar nicht entkommen, indem sie ihre Defizite senken!
Vor einigen Monaten habe ich rhetorisch gefragt, ob es möglich sei, seine Schulden
zu verringern, in dem man neue Schulden macht. Die Antwort war damals „Ja“, aber
es war ein eingeschränktes „Ja“. Ein Land kann einer Schuldendeflation entkommen,
indem es neue Schulden macht – wenn die Ausgangsbedingungen günstig sind: Wenn
die Verbindlichkeiten gemessen am BIP niedrig sind, wenn niedrige oder sogar
negative kurzfristige Zinssätze möglich sind und die Staatsausgaben so gelenkt
werden, dass sie zusätzliches Wachstum schaffen. Aber von diesen Ländern gibt es
nur wenige; die USA gehört zu vielleicht einer Handvoll von Staaten, die dieses
Privileg genießen. Und PIMCO hat genauso wie andere Anleger große Zweifel, ob
die Haushaltsdefizite der USA tatsächlich hohe künftige Wachstumsraten schaffen.
Im gegenwärtigen Dilemma wird so der Rat von Shakespeare immer relevanter:
Gekürzte Ausgaben und konservativer gestrickte Haushalte könnten für Griechenland
zu spät kommen, genauso wie für die Länder, denen es ähnlich geht wie Griechenland.
Weiter so mit der Neuverschuldung könnte künftig ein enormes Privileg sein,
das nur wenige genießen könnten. Viele Industrieländer stecken irgendwo zwischen
diesen beiden Gruppen und müssen sich nicht nur auf die niedrigeren Wachstumsraten
einer neuen Normalität einstellen, sondern auch auf eine holprige Reise dorthin.
Anleger müssen diese ziemlich qualvolle Reise in den kommenden Monaten und Jahren
als das akzeptieren, was es ist: Ein Entschuldungsprozess – der allerdings unter
denkbar schlechten Voraussetzungen abläuft: Die Schulden sind zu hoch und das
Wachstum ist zu gering, um diese Schulden zu bedienen. In der Investment-Welt
wird es künftig „Verleih’ zwei und bekomm’ drei zurück“ nicht mehr geben. Und
für ein diversifiziertes Portfolio mit Aktien und Anleihen kann man künftig
nicht 1000 Prozent jährliche Rendite erwarten sondern eher vier bis sechs Prozent.
Und seien Sie vorsichtig: „Manchmal verleihen Sie drei und bekommen zwei zurück.“
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Quelle: Investmentfonds.de
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