Investmentfonds.de
05.08.2010:
Schroders: Deutschland ist eine Gefahr für die Eurozone
Köln, den 05.08.2010 (Investmentfonds.de) - Schaut man auf die Ereignisse in
der Eurozone, kommt es einem vor, als verunglücke ein Zug in Zeitlupe. Die
Ereignisse haben etwas Unvermeidbares, selbst wenn alles so anders hätte
verlaufen können. Das Unvermeidbare folgt jedoch ganz einfach aus der Mathematik,
dem beharrlichen Sparkurs der Deutschen sowie ihrem fehlenden Willen, eine
Stimulierung der eigenen Wirtschaft in Betracht zu ziehen.
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Im letzten Jahrzehnt haben die PIIGS-Staaten (Portugal, Italien, Irland, Griechenland
und Spanien) erheblich an Wettbewerbsfähigkeit eingebüßt. Reale effektive Wechselkurse
und Lohnstückkosten beispielsweise sanken im Vergleich zu Deutschland um rund 30
Prozent. Ein ähnliches Szenario hat es in Deutschland im Zeitraum vor der Wieder-
vereinigung gegeben – damals stieg der reale effektive Wechselkurs um etwa 25 Prozent.
Deutschland ging damals seinen eigenen Weg und nahm dafür ein Jahrzehnt lang ein
schwaches Wachstum, 10 Prozent Arbeitslosigkeit und statische Lohnkosten hin, um
wieder wettbewerbsfähiger zu werden. Es ist daher nicht überraschend, dass
Deutschland Südeuropa dieselbe Medizin verschreibt. Der deutsche Finanzminister
Wolfgang Schäuble schrieb kürzlich in der Financial Times:
•Alle Euro-Mitgliedsstaaten müssen […] ihr Haushaltsdefizit wieder auf unter drei
Prozent senken.
•Schwerwiegende Strukturschwächen [...] erfordern einen jahrelangen schmerzhaften
Anpassungsprozess.
•Wenn sich ein Euro-Mitgliedsstaat […] nicht imstande sehen sollte, […] die öffent-
lichen Haushalte zu sanieren, sollte er als Ultima Ratio auch aus der Währungsunion
ausscheiden, zugleich aber Mitglied in der EU bleiben können.
Nach Ansicht der Deutschen sollte ganz Südeuropa für ein Jahrzehnt oder länger
auf die „Strafbank“ gesetzt werden, wodurch die gesamte Eurozone – insbesondere
die PIIGS-Staaten – zu einem unterdurchschnittlichen Wachstum verurteilt würden.
Die von Griechenland geforderte Anpassung ist eine sehr stramme Vorgabe. Wenn
Griechenland alle Vorgaben umsetzt, würde die Staatsverschuldung der Hellenen
auf etwa 150 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) steigen. Die Schulden
dürften weiter zunehmen und das BIP infolge einer neuen Rezession und Deflation
sinken. Bei einer Verschuldung von 150 Prozent des BIP und realen Zinsen auf dem
heutigen Niveau müsste Griechenland einen Primärüberschuss von rund acht Prozent
des BIP erzielen, nur um den Verschuldungsgrad beizubehalten.
Unter diesen Umständen würde es nicht überraschen, wenn Griechenland zur Auffassung
käme, dass eine Restrukturierung - sprich ein Zahlungsausfall - zusammen mit dem
Ausstieg aus der Eurozone das kleinere Übel darstellt. Auf diesem Gebiet kennen
sich die Griechen aus, denn seit das Land 1829 ein moderner Staat wurde, hat es
zwölf Mal den Bankrott erklärt und war mehr als die Hälfte der Zeit zahlungsunfähig.
Es könnte alles ganz anders sein. In einer politischen Union, oder zumindest in
einer Wirtschaftsunion, wäre die Wirtschaftspolitik organisiert. Deutschland sowie
andere nordeuropäische Länder mit relativ gesunden öffentlichen Finanzen und einem
großen Außenhandelsüberschuss könnten ihre Wirtschaft stimulieren, um die deflatio-
nären Auswirkungen der staatlichen Sparmaßnahmen der PIIGS-Staaten auszugleichen.
Eine steigende Nachfrage aus Deutschland und anderen nordeuropäischen Ländern würde
die Nachfrage nach Waren und Dienstleistungen in Südeuropa ankurbeln sowie zum
Wachstum in der Eurozone insgesamt und zum Abbau der chronischen Ungleichgewichte
bei den Leistungsbilanzen beitragen. Wer allerdings auf einen so deutlichen Kurs-
wechsel in der Wirtschaftspolitik in Deutschland hofft, wird vermutlich enttäuscht.
Erst jüngst hat die deutsche Regierung ein Gesetz verabschiedet, demzufolge das
Haushaltsdefizit bis 2016 fast vollständig abgebaut sein soll – von einer Stimu-
lierung der eigenen Wirtschaft ist man weit entfernt.
Kann ein Land aus der Währungsunion austreten?
Oft wird das Argument angeführt, dass zu viele Staatsgelder zur Einführung des Euro
investiert wurden, die eine Auflösung der Währungsunion undenkbar machen. Außerdem
heißt es, dass ein schwaches Mitglied bei einem Austritt aus der Eurozone über
Nacht ruiniert wäre, weil der Großteil seiner Verbindlichkeiten auf Euro lautet
und seine Vermögenswerte plötzlich in einer abgewerteten „neuen Währung“ denomi-
niert sein würden. Bei diesen Argumenten werden aber zwei Aspekte nicht berück-
sichtigt. Erstens kann im Falle eines Mitgliedstaats, der aus der Eurozone
austreten möchte, wie nach jedem staatlichen Zahlungsausfall alles verhandelt
werden. Zweitens ist es möglich, dass die Länder mit den starken Währungen aus
der Eurozone austreten und Portugal, Italien, Irland, Griechenland und Spanien
in der Gemeinschaftswährung zurücklassen. Die Auswirkungen der Neubewertung wären
harmlos, denn diese Volkswirtschaften verblieben in einer unveränderten Lage.
Zudem würden die Vermögenswerte der Länder, die aus der Eurozone austräten,
auf eine aufgewertete „neue Währung“ lauten. Wie wäre es mit einer neuen D-Mark –
auch wenn das populistisch klingt? Fast alles ist möglich, angefangen vom Austritt
eines einzigen Landes über die Gründung eines oder mehrerer neuer Währungsgebiete
bis hin zu einer Rückkehr zu allen nationalen Währungen, die vorher existiert haben.
Eines ist jedenfalls klar: Fast alle Optionen würden zu einer erheblichen Neuan-
passung der Wechselkurse zwischen den PIIGS-Währungen und dem D-Mark-Block führen.
Daraus dürften eine Reduzierung der aktuellen chronischen Ungleichgewichte und
eine viel frühere Rückkehr zum Wachstum resultieren. Würde das dem deutschen
Exportsektor schaden? Einerseits ja, aber letztendlich ist ein ausgeglicheneres
Wachstum in Deutschland mit einer größeren Binnennachfrage von grundlegender
Bedeutung, um Europa wieder auf ein solideres Fundament zu stellen.
Währungssysteme waren auch in der Vergangenheit nicht von Dauer. Im vergangenen
Jahrhundert hatte das Bretton-Woods-Abkommen von 1944 bis 1971 Bestand. Zwischen
den 1880er Jahren und den späten 1930er Jahren war der Goldstandard das in den
meisten Ländern anerkannte Währungsabkommen. Relativ lange bestand die Lateinische
Münzunion, in der im Jahre 1865 Frankreich, Belgien, Italien und die Schweiz
ihre Währungen miteinander koppelten und sich mit der Zeit weitere europäische
Staaten anschlossen: Sie brach erst 1927 als Spätfolge des Ersten Weltkriegs
wieder auseinander.
Werden die angestellten Vermutungen auch tatsächlich eintreten? Derzeit noch
nicht, soviel steht fest. Allerdings legen die Berechnungen und die fest verwurzelte
Denkweise in Deutschland nahe, dass es mittelfristig durchaus dazu kommen kann.
Diese Diskussion wird die Märkte auch weiterhin beschäftigen.
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Quelle: Investmentfonds.de
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