Investmentfonds.de
20.08.2018:
Vontobel Asset Management-Türkeikrise: Kein Grund, ins Schwitzen zu kommen
Köln, den 20.08.2018 (Investmentfonds.de) -
Luc Dhooge,Head of Emerging Markets Debt, Vontobel Asset Management
In diesem Hitzesommer befindet sich das Epizentrum der
schlechten Nachrichten in der Türkei. Hier einige der
Themen, die für Schlagzeilen gesorgt haben:
- Das bedeutende und steigende Leistungsbilanzdefizit
- Zweistellige Inflationsraten
- Die laufende diplomatische Verstimmung mit dem
NATO-Partner USA wegen eines inhaftierten Pastors
- Das unorthodoxe Verständnis von Geldpolitik des
Präsidenten Recep Tayyip Erdogan
(namentlich seine Einmischung in die Geldpolitik
und seine Vorstellung, dass höhere Zinsen
die Inflation befeuern)
Angesichts dieser Schwierigkeiten, die zudem in rascher
Folge aufkamen, verwundert es nicht, dass
die Lira in der vergangenen Woche ins Bodenlose gefallen ist.
Vor dem Absturz der Lira betrug die Auslandsverschuldung der
Türkei (die sich aus den Staats- und Unternehmensschulden
gegenüber ausländischen Gläubigern zusammensetzt und in der
Regel in Hartwährungen denominiert ist) rund 54 Prozent
des BIP. Davon entfielen nur 17 Prozent auf
Staatsschulden und der Rest überwiegend auf
Unternehmensschulden. Dieses Verhältnis, bei dem der
Unternehmens- und Finanzsektor die Hauptlast der
Auslandsverschuldung trägt, ist unserer Meinung nach
vernünftig. Unternehmen und Banken haben tendenziell
bessere Gründe als der Staat, sich im Ausland zu
verschulden. So halten Banken beispielsweise bedeutende
Einlagen in Hartwährung und sichern häufig ihr
Währungsengagement ab.
Vorwiegend binnenmarktorientierte Unternehmen betroffen
Der türkische Bankensektor weist im Allgemeinen ein neutrales
Währungsengagement in seinen Bilanzen
aus (ebenso wie der Großteil der Unternehmen). Der aktuelle
Sturm ist somit auf binnenmarktorientierte
Unternehmen begrenzt. Diese machen zwar einen großen Teil aus,
doch sind überwiegend die Energie-,
Infrastruktur- und Baubranche betroffen. Häufig sind die
Projekte der Unternehmen aus diesen Branchen
allerdings vom Staat garantiert, der wiederum eine sehr
niedrige Schuldenquote aufweist. Mit anderen
Worten: Die Auswirkungen einer nachlassenden Dynamik in
diesen Sektoren auf die Bankbilanzen sind
bereits größtenteils bekannt.
Türkische Banken mit solider Eigenmittelausstattung
Wir sind zuversichtlich, was unsere Positionen in türkischen
Banken betrifft. Zudem haben uns die jüngsten
Maßnahmen der Entscheidungsträger im Zusammenhang mit den
Mindestreserveanforderungen in unserer
Haltung bestärkt, da sie die Liquidität der Banken verbessert
haben. Wir sind in türkischen Banken investiert,
weil der Sektor unseres Erachtens nach günstig ist. Türkische
Banken verfügen über eine sehr solide
Eigenmittelausstattung, wenig notleidende Kredite und sind
enorm rentabel (die Türkei ist/war letztes Jahr
die am schnellsten wachsende G20-Volkswirtschaft). Die Türkei
gehört zudem in der EMEA-Region zu den
Ländern mit dem höchsten Wachstumstempo. Auch die Regulierung
des Bankensektors ist umsichtig. Nach
der Bankenkrise im Jahr 2001 waren die türkischen Banken
gezwungen, ihre Bilanzen zu bereinigen. Mitte der 2000er-Jahre
war dieser Prozess abgeschlossen. Die Türkei blieb von den
Herausforderungen, vor denen andere Schwellenländer nach der
Finanzkrise 2008 standen, dank der zuvor gezogenen Lehren
verschont. Die europäischen Banken spielten schon immer eine
zentrale Rolle in der Türkei, weil sie dem Land Zugang zu
Finanzmitteln verschaffen. Obwohl die Lira in den letzten
zehn Jahren heftig schwankte,sank die Rollover-Quote nach
2008 nie unter 100 Prozent. Die Finanzierungskosten sind
zuletzt gestiegen.
Dies stellt jedoch keine existenzbedrohende Gefahr für den
Bankensektor dar. Darüber hinaus darf nicht
vergessen werden, dass den Banken steigende Zinsen zugutekommen.
Die Zinsmarge auf den
Kreditbüchern steigt. Zudem halten die Banken enorme Bestände
an inflationsindexierten Staatsanleihen,
die in schwierigen Marktphasen besser abschneiden.
Strategische Bedeutung der Türkei lässt Unterstützung erwarten
In Anbetracht der starren Haltung von Präsident Erdogan scheint
eine baldige Lösung nicht in Sicht.
Trotzdem möchten wir die strategische Bedeutung der Türkei als
NATO-Mitglied, Transitland (Rohstoffe),
Pufferstaat und als bedeutender Akteur in der europäischen
Flüchtlingskrise hervorheben. Wir gehen folglich
davon aus, dass der Pragmatismus obsiegen wird und die Türkei
Unterstützung erhält, entweder über
bilaterale oder multilaterale Kanäle. Während also viele Anleger
wie Touristen in einem türkischen
Dampfbad ins Schwitzen kommen, bleiben wir mit unseren sorgfältig
ausgewählten Bankanleihen ganz entspannt.
Quelle: Investmentfonds.de
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