Investmentfonds.de
01.10.2018:
Märkte mit Mumm: Experten befürchten globalen Abschwung: Handelt es sich um eine Delle oder die Trendwende nach unten?
Köln, den 01.10.2018 (Investmentfonds.de) -
Carsten Mumm, Chefvolkswirt bei der Privatbank Donner & Reuschel
Experten befürchten globalen Abschwung: Handelt es sich um eine Delle
oder die Trendwende nach unten?
Bisher handelt es sich lediglich um eine Wachstumsdelle. Man darf nicht
vergessen, dass wir von einem extrem hohen Niveau der weltwirtschaftlichen
Aktivität kommen und das globale Wachstum nach wie vor außergewöhnlich
hoch ist. Der Internationale Währungsfond (IWF) erwartet für dieses und das
kommende Jahr noch immer ein Weltwirtschaftswachstum von jeweils 3,9 Prozent.
Dabei ist das Wachstum sehr homogen verteilt. Es gibt derzeit kaum Regionen
auf der Welt, die von einer Rezession betroffen sind. Deutschland und der
Euroraum werden in 2018 mit ca. 2 Prozent deutlich über ihrem langfristigen
Potenzial (in Deutschland ca. 1,5 Prozent) wachsen. Die USA hatten im zweiten
Quartal 2018 sogar 4,2 Prozent BIP-Wachstum im Vergleich zum Vorjahr zu
verzeichnen. Das chinesische BIP dürfte in 2018 um 6,5 Prozent zulegen - alles
sehr dynamisch.
Die sich derzeit etwas eintrübenden Frühindikatoren resultieren vor allem aus
den schon heute merkbaren Bremsspuren im Zuge des eskalierenden Handelskriegs.
Klar ist: je länger dieser anhält und je mehr Handelsrestriktionen erhoben
werden, umso heftiger ist die Bremswirkung für die globale Konjunktur. Schon
heute werden vereinzelte Investitionen aufgrund unsicherer Absatzmöglichkeiten
geschoben. Das kann auch bis zu einem heftigen Abschwung oder sogar Rezessionen
in einzelnen Staaten führen.
Aber auch andere Aspekte bremsen derzeit die wirtschaftliche Aktivität,
beispielsweise in Deutschland die ausgelasteten Kapazitäten und der
Fachkräftemangel, in den USA die Leitzinsanhebungen oder in einzelnen
Schwellenländern spezifische regionale Problemfelder (z.B. Türkei, Argentinien,
Venezuela, Iran). Eine gewisse Abkühlung ist derzeit jedoch auch nötig, um
Überhitzungen (z.B. eine überschießende Inflation in den USA) zu
vermeiden - nur zu kühl sollte es nicht werden.
Droht eine Verschärfung des Handelskriegs?
US-Präsident Trump wandelt mit seiner derzeitigen Handelspolitik auf einem
schmalen Grat, denn die ersten negativen Folgen sind auch in den USA bereits
spürbar. Stahl- und Aluminiumpreise ziehen an, wodurch die Kosten für
stahlverarbeitende Industrien, bspw. die Autobauer, steigen und deren Gewinne
belasten. Auf Waschmaschinen aus Asien wurden schon Ende 2017 bis zu 50 Prozent
Zölle erhoben. Aufgrund des mangelnden Wettbewerbs sind auch hier die Preise in
den USA deutlich angestiegen. Ein anderes Beispiel: Harley-Davidson kündigte
an, zukünftig verstärkt außerhalb der USA zu produzieren, um die Zölle zu
umgehen. Bis die Produktion im Ausland aufgebaut ist, nimmt das Unternehmen
die Zölle auf die eigene Kappe, senkt also die Preise für die Motorräder
zulasten des eigenen Gewinns. US-Farmer fürchten um ihre Absatzmärkte für
Soja in China, Whiskey-Destillerien müssen Absatzeinbußen im Export
hinnehmen usw.
Trumps Wähler bekommen somit als Unternehmer, Konsument oder Aktienanleger die
direkten Konsequenzen zu spüren. Diese treffen viel mehr Menschen, als es
Arbeitern bspw. in der Stahlindustrie hilft. Allerdings sitzen Letztere im für
Trump wichtigen Rust-Belt. Von dort braucht er Stimmen, um die Midterm
Elections zu gewinnen. Noch sind die Zustimmungswerte für den US-Präsidenten
vor allem unter republikanischen Wählern sehr hoch. Allerdings könnte die
Stimmung auch schnell kippen, wenn negative Rückwirkungen Überhand nehmen.
Sicherer wäre für Trump, vor den Wahlen noch einige "Deals" zu machen, also
Konfliktherde durch Verhandlungen zu lösen. Dann könnte er handfeste Erfolge
vorweisen, wie jüngst im Fall Mexikos. Vor diesem Hintergrund könnte es im
Herbst vielleicht eher überraschende Vereinbarungen geben, die einige
Handelskonflikt-Baustellen schließen würden.
Emerging Markets Krise und Stabilität der Eurozone
Schwellenländer leiden schon heute unter dem Abzug von dringend benötigtem
Investitionskapital, das teilweise sicher auch in die USA ging und dort
verzinslich angelegt wurde. Natürlich sind besonders die exportorientierten
Staaten unter ihnen auch von dem Handelskrieg betroffen. Dabei gilt gleiches
wie bei den Industriestaaten: je länger die Auseinandersetzungen andauern und
je schärfer die Sanktionen werden, umso stärker wird das Wachstum gebremst.
Eine breit angelegte Schwellenländerkrise kann man daraus aber bisher nicht
ableiten, dafür sind viele Staaten heute stabiler, als noch vor einigen Jahren.
Die Staatsverschuldungen und Haushaltsdefizite liegen zumeist weit unter denen
der Industriestaaten. Einzelne Problembereiche unter Schwellenländern sind
überwiegend hausgemacht. Vor allem eine hohe Auslandsverschuldung in
Fremdwährung, ein hohes Leistungsbilanzdefizit, Zweifel an der Unabhängigkeit
der Notenbank und eine investitionsfeindliche Politik sind Risikofaktoren, die
in der Türkei oder auch in Argentinien zu Krisen geführt haben. Nicht
auszuschließen sind nach wie vor anlegerpsychologisch bedingte
Ansteckungseffekte. Wenn aus bisher stabilen Staaten wegen einer allgemeinen
Schwellenländer-Panik ebenfalls massiv Kapital abgezogen werden sollte, könnten
auch diese Probleme aufgrund fehlenden Investitionskapitals und stark
abwertender Währungen bekommen.
Die bisherigen Vorschläge der neuen italienischen Regierung sind wenig
ermutigend, aber auch kaum realistisch. Die Unterstützung der chronisch
schwach wachsenden Volkswirtschaft durch schuldenfinanzierte fiskalische
Maßnahmen ist grundsätzlich sinnvoll - sofern sie Investitionen in die
zukünftige Wettbewerbsfähigkeit betreffen (also in Bildung, Digitalisierung,
Infrastruktur, usw.). Konsumtive Ausgaben wie ein Grundeinkommen, ein früherer
Renteneintritt oder allgemeine Steuererleichterungen sind derzeit weniger
hilfreich. Es ist allerdings nicht damit zu rechnen, dass der Haushaltsentwurf
an die gem. Maastricht-Kriterien vorgesehene Grenze von einem Haushaltsdefizit
in Höhe von 3 Prozent heranreicht. Sogar der italienische Finanzminister Tria
möchte das Defizit bei 1,5 Prozent beschränken, um kein weiteres Vertrauen an
den Finanzmärkten zu verlieren. Basisszenario ist daher, dass die italienische
Regierung keinen kompletten Konfrontationskurs gegen die EU durchhält. Auch sie
braucht schnell vorzeigbare Erfolge. Die Zustimmung Italiens zum
EU-Haushaltsentwurf etwa könnte durch eine Entlastung des Landes bei der
Aufnahme von Flüchtlingen erreicht werden. Sollte es doch zu kritischen
Turbulenzen und der Gefahr der Destabilisierung weiterer Eurostaaten kommen,
ist davon auszugehen, dass die EZB zumindest verbal und im Notfall auch mit
Wertpapierkäufen erneut stabilisierend eingreifen würde.
Brexit steht vor der Tür
Unter den gegebenen Voraussetzungen deutet vieles auf ein ungeordnetes
Ausscheiden Großbritanniens aus der Eurozone (No-Deal-Szenario) hin. Die
jüngsten Vorschläge der britischen Premierministerin May sind vonseiten der
EU kaum akzeptabel, da diese auf den weitgehenden Erhalt der Handelsfreiheit
bei gleichzeitiger Beschränkung bspw. des freien Personenverkehrs hinausliefen
(Rosinenpicken). Das Kernproblem ist derzeit aber die verrinnende Zeit. So
müssen wesentliche Vereinbarungen schon im Herbst dieses Jahres stehen, um
noch vom britischen Parlament sowie allen anderen Eurostaaten ratifiziert zu
werden. In Anbetracht des bisher wenig erfolgreichen Verhandlungsverlaufes ist
eine so schnelle Einigung kaum realistisch. In 40 Jahren entstandene
rechtliche und ökonomische Verflechtungen können kaum innerhalb von Wochen
sinnvoll anders geregelt werden. Wünschenswert wäre ein ungeordnetes
Ausscheiden indes für keinen Beteiligten. Zu groß sind die Gefahren für die
wirtschaftliche Dynamik - vor allem in Großbritannien selbst.
Für ein neues Referendum mit einem ggf. anderen Ausgang (No-Brexit-Szenario)
fehlt ebenfalls die Zeit. Zudem kann man Unternehmen, die bereits ihre
Konsequenzen aus dem anstehenden Brexit gezogen - z.B. Unternehmensteile in
andere europäische Staaten verlegt - haben, kaum erklären, dass man kurzerhand
eine Kehrtwende gemacht hat. Politische Stabilität sähe anders aus. Somit wäre
der sinnvollste Weg eine Verlängerung der Verhandlungsfrist, wenn nötig auch
um einige Jahre. Nur so wäre es möglich, eine EU-Regelung nach der anderen zu
verhandeln und für Großbritannien neu zu regeln ohne ein zwischenzeitliches
Chaos zu provozieren.
Folgt der konjunkturelle Abschwung?
In Europa hat die anhaltende Niedrigzinsphase mit Sicherheit dazu geführt, dass
es im Markt einige "Zombie"-Unternehmen gibt. Diese können sich nur noch deshalb
halten, weil sie sich zu extrem günstigen Konditionen refinanzieren können. Der
natürliche Ausleseprozess der Marktwirtschaft ist an dieser Stelle sozusagen
teilweise ausgesetzt. Sobald die Zinsen steigen, wird von diesen eines nach dem
anderem aus dem Markt ausscheiden. Je länger die Phase niedriger Zinsen jedoch
andauert, desto mehr Zombie-Unternehmen gibt es. Entscheidend für die
Auswirkungen des Zinsanstiegs ist die Schnelligkeit der Bewegung. Solange die
Zinsen langsam ansteigen, dürfte es nicht zu einem plötzlichen Abstürzen ganzer
Marktsegmente kommen (z.B. hoch verzinsliche Unternehmensanleihen). Nicht mehr
rentable Unternehmen würden sukzessive insolvent werden, die Ausfallraten
stiegen langsam an und Anleger könnten einzelne Ausfälle kompensieren.
Letztlich wäre dies sogar ein wünschenswerter Effekt, um die notwendige
Bereinigung anzustoßen. Ein schneller und deutlicher Zinsanstieg könnte
hingegen eine Panikreaktion hervorrufen und für Turbulenzen sorgen. Die EZB
dürfte daher alles tun, um einen schnellen Zinsanstieg zu vermeiden. In den
USA hat dieser Prozess seit den ersten Leitzinsanhebungen Ende 2015 bereits
stattgefunden, bisher ohne größere negative Auswirkungen. Mit dem
konjunkturellen Abschwung ist es ähnlich: auf die Geschwindigkeit kommt es an.
Zumindest in Europa waren die Banken in den letzten Jahren nicht an spekulativen
Kreditvergaben in größerem Ausmaß beteiligt. Dafür sind die regulatorischen
Auflagen zu hoch, die Ertragslage seit Jahren zu schwach und Risiken werden nur
noch vergleichsweise restriktiv eingegangen.
Die Löhne steigen sowohl dies- als auch jenseits des Atlantiks weiterhin nur
moderat - vor allem gemessen an den sich nahe an der Vollbeschäftigung
befindlichen Arbeitsmärkten in Deutschland und den USA. Moderate
Reallohnsteigerungen sind sogar wünschenswert, weil sie den privaten Konsum als
Stütze der konjunkturellen Entwicklung anstoßen.
Die chinesische Volkswirtschaft wird traditionell sehr stark von der
Zentralregierung beeinflusst. Diese hat sich die steigende Verschuldung bereits
seit ca. 2 Jahren auf die Agenda genommen und einige Maßnahmen zu deren
Begrenzung implementiert (z.B. steigende regulatorische Anforderungen und höhere
Eigenkapitalanforderungen für Banken, bessere Überwachung der Schattenbanken).
Aufgrund der geringen Verschuldung des Zentralstaates von weniger als 50 Prozent
des Brutto-Inlandsproduktes (BIP) besteht zudem die Möglichkeit bei Bedarf durch
fiskalische Impulse zu stützen. Die Grundannahme ist daher, dass es zu keinen
erheblichen Verwerfungen aufgrund der chinesischen Verschuldung kommt.
Die globalen Aktienmärkte befinden sich definitiv auf erhöhten Niveaus.
US-Aktien sind mittlerweile sogar relativ teuer, was zumindest bei anhaltend
niedrigen Zinsen in Europa auf die hiesigen Aktienmärkte nicht zutrifft - genauso
wie auf die Börsen der Schwellenländer allgemein nicht. Spekulationsblasen
vergleichbar mit der Situation Ende der 90er-Jahre sind an den Aktienbörsen
allerdings derzeit nirgendwo erkennbar. Zudem stirbt ein Aufschwung nicht
aufgrund seines Alters. Es kommt auf die fundamentalen Rahmendaten an.In Europa
sind mit Blick auf die kommenden zwei bis drei Jahre keine nennenswerten
Zinssteigerungen absehbar - ein wichtiger Faktor für die Stabilität der
Aktienmärkte. Außerdem läuft die Konjunktur noch sehr robust. In diesem Umfeld
kann die Aktienhausse noch einige Monate oder sogar wenige Jahre tragen. Wer
jetzt aussteigt, läuft Gefahr, sein Kapital sehr lange unverzinslich parken zu
müssen. Wer noch keine oder zu wenig Aktien im Depot hat, kann daher trotzdem
heute investieren. Dabei macht es Sinn, US-Aktien geringer zu gewichten. Auf
jedem Fall braucht man derzeit mehr denn je ein vorab klar definiertes und
konsequent umzusetzendes Risikomanagement, um die Gefahr übermäßiger Verluste
zu reduzieren, wenn es doch einmal wieder deutlicher abwärtsgeht.
Den Handelskrieg sehen wir als größtes Risiko für die Entwicklung an den
Aktienmärkten. Sollte dieser tatsächlich im bisherigen Tempo weiter eskalieren,
trüben sich über negative konjunkturelle Effekte auch die Aussichten für die
globalen Aktienmärkte erheblich ein. Auf der anderen Seite steckt hier auch die
größte Chance. Vor allem viele stark vom Export abhängige europäische und
Schwellenländeraktien haben in diesem Jahr aufgrund der zunehmenden
Handelsrestriktionen bereits deutlich korrigiert. Sobald es Anzeichen für eine
Deeskalation gibt, dürften diese schnell einen großen Teil der zuletzt
negativen Wertentwicklung aufholen. Da vorerst weiterhin kaum berechenbare
politische Einflussfaktoren die entscheidenden Impulse für die Börsen geben
werden, kann schnelle Handlungsfähigkeit und ein professionelles Management
des Portfolios ein entscheidender Vorteil sein.
Quelle: Investmentfonds.de
|