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29.10.2018:
Barings Leading Thoughts: Wo Fortschritte möglich sind - Washington nach den US-Zwischenwahlen
Köln, den 29.10.2018 (Investmentfonds.de) -
Dr. Christopher Smart, Head of Global Macroeconomic and
Geopolitical Research bei Barings
In der US-Hauptstadt hat man sich in letzter Zeit eher an politischen
Stillstand gewöhnt, als legislative Fortschritte zu erzielen,
doch im kommenden Jahr könnte Washington mit einigen kleinen Überraschungen
für die Finanzmärkte aufwarten.
Die emotionale Anhörung von Brett Kavanaugh und seine Berufung zum Richter am
Obersten Gerichtshof hat den Wahlkampfendspurt der Midterm Elections, die bis
dahin als recht vorhersehbar betrachtet wurden, ordentlich aufgerüttelt.
Allgemein wird weiterhin angenommen, dass die Demokraten die Mehrheit im
Repräsentantenhaus erobern werden, während der Senat weiter in der Hand der
Republikaner bleibt, doch gibt es innerhalb dieses Szenarios noch jede Menge
Unsicherheitsfaktoren.
Zudem könnten bei einer Machtkonstellation, bei der politische Grabenkämpfe
unvermeidbar scheinen, dennoch legislative Fortschritte bei Themen wie
Infrastruktur, Kontrolle von Arzneimittelpreisen und möglicherweise auch
Mindestlohnregelungen erzielt werden. Auch die Zustimmung zum neuen
nordamerikanischen Handelsabkommen ist möglich. Schwer vorstellbar sind
allerdings nachhaltige Maßnahmen zur Bewältigung des mit Abstand größten
wirtschaftlichen Problems: die derzeitige Entwicklung des US-Haushaltsdefizits.
Zwei Wochen = zwei Ewigkeiten
Nach derzeitigem Stand wäre der überraschendste Ausgang, wenn es den
Republikanern gelänge, ihre Mehrheit im Repräsentantenhaus zu verteidigen.
Zum einen war es in der Vergangenheit meist so, dass sich die Partei des
Präsidenten bei Zwischenwahlen im Repräsentantenhaus nicht behaupten konnte,
zum anderen stünde ein solcher Ausgang im Gegensatz zu den aktuellen Prognosen,
die einen recht eindeutigen Sieg der Demokraten vorhersagen. Ein unerwarteter
Sieg der Republikaner würde allerdings aller Voraussicht nach zu einer Rally an
den Märkten führen, da die Möglichkeit weiterer Steuersenkungen und einer
stärkeren Deregulierung bestünde. In diesem Szenario würden insbesondere
Finanzwerte sowie die Titel von Pharma-, Energie- und Rüstungsunternehmen
beflügelt werden.
Dass die Republikaner die Kontrolle über den Senat verlieren, erscheint weniger
wahrscheinlich, auch wenn wir inzwischen längst gelernt haben, dass sich
Prognosen auf Bundesstaaten-Ebene häufig als nicht verlässlich erweisen.
Politik-Junkies verfolgen die Kopf-an-Kopf-Rennen in Missouri, Montana,
Indiana und Florida, wo die Demokraten ihre derzeitigen Sitze verlieren könnten.
Für die Republikaner werden Verluste in Nevada und Arizona prognostiziert,
doch hier haben sich die Abstände jüngst verringert, da die Basis der
Republikaner seit der Kavanaugh-Auseinandersetzung stärker mobilisiert scheint.
Nicht zu vergessen ist, dass eine Woche in der Politik eine Ewigkeit sein
kann - und bis zu den Wahlen sind es noch knapp zwei Wochen.
Einigkeit unter seltsamen Verbündeten?
Selbst wenn sich die Parteien nach den Wahlen die Macht im Kongress teilen
müssen, ist nicht alles verloren: Es gibt einzelne wichtige Bereiche, in
denen selbst die erbittertsten Feinde Einigungen erzielen können.
Die demokratische Oppositionsführung im Repräsentantenhaus, ob Nancy Pelosi
oder ein neues Gesicht, wird unter immensem Druck stehen, eine neue
Untersuchung der Geschäftsangelegenheiten von Donald Trump und seiner
Wahlkampfverbindungen zu Russland einzuleiten. Dennoch gibt es ein paar
wichtige Bereiche, in denen die wirtschaftlichen Ideologien beider Parteien
sehr nah beieinanderliegen.
Die Infrastrukturpläne von Donald Trump sind neben seinen Steuer- und
Handelsinitiativen weitgehend untergegangen, doch den Demokraten ist der
Handlungsbedarf im Infrastrukturbereich ebenfalls bewusst. So könnte es gut
sein, dass sie ohne Weiteres einem Programm zustimmen, das eine Kombination aus
öffentlichen und privaten Geldern bereitstellt, und sich beide Seiten die
Anerkennung dafür teilen - wenn auch zähneknirschend. Der Präsident wird
möglicherweise gezwungen sein, nicht weiter auf höheren Verteidigungs- und
Grenzschutzausgaben zu beharren, doch die politischen Definitionen von
"Infrastruktur" und "Grenzmauer" lassen sich leicht verwischen. Von
entscheidender Bedeutung wird es sein, Trump dazu zu bewegen, die
Mineralölsteuer zu erhöhen, die seit 1993 nicht mehr angepasst wurde.
Im Bereich der Handelspolitik käme von einem demokratischen Repräsentantenhaus
starker Rückenwind für die Fortsetzung der Offensive gegen China, sodass
weitere Zölle und strengere Kontrollen für chinesische Investitionen in den
USA wahrscheinlich sind. Die stärker protektionistisch geprägte
Neuverhandlung des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens (NAFTA) könnte auch
bei vielen Demokraten Gefallen finden. Handelsabstimmungen sind immer besonders
kontrovers und knapp, doch das neue, von Trump vorgelegte
USA-Mexiko-Kanada-Abkommen (USMCA) beinhaltet klar die Bestimmung, dass künftig
mehr Bauteile von Autos in Ländern mit höheren Löhnen (sprich in den USA)
gefertigt werden müssen, weshalb einige Arbeitnehmerorganisationen bereits
zugesagt haben, den Vorstoß unter bestimmten Bedingungen zu unterstützen.
Weniger wahrscheinlich, aber dennoch möglich, sind Fortschritte in Punkten wie
der Kontrolle von Arzneimittelpreisen - ein Thema, zu dem sich Trump bereits
mehrmals auf Twitter geäußert hat und das vielen Demokraten am Herzen liegt.
Die jüngste Entscheidung von Amazon, seine Stundenlöhne zu erhöhen, wurde
sowohl von der Trump-Regierung als auch von dem demokratischen Senator
Bernie Sanders gelobt. Dies könnte den Beginn einer Annäherung im Bereich
Mindestlohngesetzgebung markieren. Trump würde die Gewinnmargen der
Pharmaunternehmen herabsetzen, während Sanders sich mit Gegenstimmen aus dem
Gastgewerbe auseinandersetzen müsste.
Nicht alle dieser Spekulationen werden sich als korrekt erweisen, aber einige
könnten zutreffen.
Der Elefant im Raum wird sich nicht rühren
Was mit größter Wahrscheinlichkeit nicht zu erwarten ist: ein kohärenter Ansatz
zur Bekämpfung des US-Haushaltsdefizits, das sich in diesem Jahr durch die
Steuersenkungen weiter ausgeweitet hat. Die Demokraten werden Spitzenverdiener
höher besteuern und wichtige Haushaltskürzungen wieder einführen wollen.
Trump hingegen wird mit Blick auf seine Wiederwahl wohl kaum zurückrudern,
schließlich geht es hier um einen der in seinen Augen wichtigsten legislativen
Erfolge. Wenig überraschend ist auch, dass scheinbar keine der beiden Parteien
bereit ist, die eher langfristige Herausforderung der Anpassung der
bundesstaatlichen Sozialleistungssysteme anzugehen.
Es könnte also gut sein, dass die Bereiche, in denen potenziell Fortschritte
erzielt werden können, überschattet werden von politischen Dramen und faulen
Kompromissen, die auf nächtlichen Sitzungen geschlossen werden, um vorläufige
Haushaltsmaßnahmen durchzuboxen. Mit diesen könnte eine Haushaltssperre
verhindert werden, sie werden aber wohl nicht zu einer nachhaltigeren
langfristigen Haushaltspolitik beitragen.
Quelle: Investmentfonds.de
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