Investmentfonds.de
05.11.2018:
J.P. Morgan AM: Nachlassendes Wirtschaftswachstum, doch noch keine Rezessionsrisiken
Köln, den 05.11.2018 (Investmentfonds.de) -
Tilmann Galler, Kapitalmarktstratege bei J.P. Morgan Asset Management in Frankfurt
- USA: Wirtschaftswachstum verlangsamt sich, aber größere Risiken
frühestens ab Ende 2019
- Eurozone: nachlassender Export, politische Risiken, aber keine schweren
Auswirkungen in Sicht
- Defensivere Portfolio-Ausrichtung könnte langsam in den Fokus rücken
Die Experten von J.P. Morgan Asset Management erwarten, dass sich an der seit
einigen Wochen vorherrschenden Volatilität und Unsicherheit an den
Kapitalmärkten vorerst nicht viel ändern wird. "Die Zahlen der konjunkturellen
Frühindikatoren sind Stück für Stück etwas schlechter geworden", betont
Tilmann Galler, Kapitalmarktstratege bei J.P. Morgan Asset Management in
Frankfurt. "Das lässt vermuten, dass eine Schwächephase in der Wirtschaft droht.
Auch die aktuellen politischen Risiken, seien es die italienischen
Haushaltspläne, der Brexit oder die Gemengelage rund um den Handelsstreit
zwischen den USA und China, haben Anleger verunsichert". Und auch wenn er
ausführt, dass die Rezessionsrisiken für die nächsten zwölf Monate gering sind
und weder Italiens Budget noch die britische Brexit-Diskussion zu größeren
Verwerfungen an den Märkten führen dürften, sollten Anleger angesichts der
höheren Volatilität in der Zyklus-Spätphase in Betracht ziehen, ihr Portfolio
etwas defensiver auszurichten. In seiner Vorstellung des aktuellen Guide to
the Markets für das vierte Quartal 2018 erläuterte Galler, wie gefährlich das
nachlassende Wirtschaftswachstum tatsächlich ist, inwieweit höhere Zinsen
Anlass zur Sorge bereiten sollten und welche Risiken es speziell für das
Wachstum in Europa und Asien gibt.
Weniger Wachstum in den USA
Das US-Wirtschaftswachstum ist laut Galler aufgrund des Fiskalstimulus immer
noch "auf Steroiden", befinde sich aber inzwischen in einem weit
fortgeschrittenen Stadium des Konjunkturzyklus. "Das Vertrauen der Verbraucher
ist derzeit nahezu euphorisch und das steigende Lohnwachstum dürfte sich weiter
stimulierend auswirken", so der Stratege. Doch auf Unternehmensseite werden die
Schwierigkeiten bereits sichtbar: Die Arbeitskosten steigen und es ist
angesichts einer historisch niedrigen Arbeitslosenquote von 3,7 Prozent im
September immer schwieriger, geeignete Fachkräfte zu finden. "Wir gehen davon
aus, dass das Wachstum der US-Wirtschaft in den kommenden Quartalen unter
3 Prozent fallen dürfte und sich damit dem Trendwachstum von knapp 2 Prozent
nähern wird", analysiert Galler. Rezessionsrisiken dürfte es nach seiner
Ansicht frühestens erst Ende 2019 geben, wenn einige fiskalpolitische Maßnahmen
auslaufen. Diese Gegenreaktion könnte allerdings hinausgezögert werden:
"Sollten die Republikaner bei den Wahlen zum Repräsentan-tenhaus am 6. November
ihre Mehrheit verteidigen, könnten sie zusätzliche Anreize setzen, um die
drohende fiskalische Klippe hinauszuzögern und damit die nächsten
Präsidentschaftswahlen 2020 nicht zu gefährden", sagt Galler.
So dürfte die US-Notenbank (Fed) weiter Kurs halten und die quartalsweisen
Zinserhöhungen fortsetzen: "Aus unserer Sicht wird die starke wirtschaftliche
Aktivität in den USA voraussichtlich dazu führen, dass die Federal Reserve die
Zinsen weiterhin um ungefähr 25 Basispunkte pro Quartal erhöht, bis ein
Zinsniveau von 3 Prozent erreicht ist", sagt Galler.
Exportflaute der Eurozone
In der Eurozone hat das Wirtschaftswachstum noch deutlicher an Fahrt verloren.
Als eine der Hauptursachen sieht Tilmann Galler den fallenden Wachstumsbeitrag
der Nettoexporte unter anderem wegen der nachlassenden Nachfrage aus China und
anderen Schwellenländern an. Die Situation sei aber nicht besorgniserregend, da
es durchaus einige positive Faktoren gebe. Für die Industrie sei es etwa
förderlich, dass das Kreditwachstum von Nicht-Finanzunternehmen solide wächst
und dass auch die Finanzierungskosten weiterhin niedrig sind. Auch eine mögliche
Deeskalation der Handelsbeziehungen zu den USA dürfte hilfreich für das weitere
Wirtschaftswachstum sein. "Ein wichtiger Treiber für den Konsum in der
Eurozone ist das Lohnwachstum, das dem steigenden Ölpreis als potenzielle
Konsumbremse signifikant entgegenwirkt. Sollte sich das Wachstum in Abwesenheit
eines politischen Schocks bei knapp unter 2 Prozent stabilisieren, könnten die
Leitzinsen in der zweiten Jahreshälfte des kommenden Jahres etwas schneller
steigen als dies die Märkte erwarten", führt Galler aus.
Der Experte identifiziert aktuell in Europa zwei Themen mit potenziellen
Auswirkungen auf die Kapitalmärkte. Mit Blick auf die italienischen Budgetpläne
sieht er aktuell kein erhöhtes Risiko und an den Anleihenmärkten gab es bereits
eine gesunde Reaktion. "Der Markt hat die Situation in Italien mit einem
Risikoaufschlag belegt. Der Budgetstreit mit Italien dürfte wenig Potenzial für
eine weitere Finanzkrise haben," betont Galler. Mit Blick auf Großbritannien
beurteilt Tilmann Galler die Risiken für die britische Binnenwirtschaft als
deutlich höher als für die Eurozone insgesamt. Auch wenn noch in der Schwebe
sei, ob es einen harten oder einen weichen Brexit gebe, zeigten sich in
Großbritannien bereits ganz konkrete Folgen des bevorstehenden EU-Austritts.
"Das Wirtschaftswachstum in Großbritannien hat sich seit dem Referendum
deutlich verlangsamt, während es in anderen Ländern stabil geblieben ist. Auch
weist das Verbrauchervertrauen nach dem Brexit-Votum ein eindeutig negatives
Momentum auf", führt Galler aus.
Keine harte Landung in China
In China gibt es ebenfalls klare Anzeichen für ein nachlassendes
Wachstumsmomentum. Die straffere Geldpolitik und die Regulierung des
Schattenbankenwesens im ersten Jahresdrittel hat Spuren in der Wachstumsdynamik
hinterlassen. Seit Mai ist das chinesische Wachstum durch die Verschärfung des
Handelskonflikts mit den USA einer zusätzlichen Belastung ausgesetzt.
"Dennoch sollten man für China nicht zu schwarz sehen", unterstreicht Galler.
Die chinesische Regierung habe einen monetären Stimulus in Form einer lockeren
Geldpolitik gesetzt und aktuell sei ein weiterer Fiskalstimulus durch erhöhte
Infrastrukturinvestitionen zu erwarten. Diese Maßnahmen sollten das Wachstum in
2019 stabilisieren. "Wir rechnen nicht mit einer harten Landung in China",
ergänzt er.
In Japan geben zur Zeit die steigenden Reallöhne Hoffnung auf eine Erholung im
Konsum und ein anhaltend robustes Wachstum in den kommenden Quartalen. Erst im
Hinblick auf den kommenden Herbst könnte es turbulent werden, sollte die
Regierung mit ihrer Absicht ernst machen, den Mehrwertsteuersatz im Oktober
2019 zu erhöhen.
Aktien-Anleihen-Quote überdenken
Die Aktienbewertungen wirken nach Ansicht von Tilmann Galler je nach verwendeter
Kennzahl etwas überteuert. Steigende Anleiherenditen forderten dabei ebenfalls
ihren Tribut. Im historischen Maßstab hätten Aktien aber nach wie vor einen
Renditevorsprung gegenüber Anleihen. "Aktien sind derzeit moderat überbewertet,
aber wir sehen keine exzessiven Bewertungsrisiken wie etwa Ende der neunziger
Jahre", sagt Tilmann Galler. Kritisch dürfte es für Aktien allerdings werden,
wenn die US-Notenbank Fed von ihrem Erhöhungszyklus pausieren sollte.
Mit Blick auf das Anleihensegment bringen die steigenden Zinsen die
Anleihenkurse unter Druck. Die Rendite 10-jähriger US-Staatsanleihen durchbrach
sogar die Marke von 3 Prozent. Nach Ansicht von Tilmann Galler haben
US-Staatsanleihen aufgrund der zunehmenden Reife des Zyklus besonders aus der
Perspektive des Risikomangements an Attraktivität gewonnen, da sie sich nach
den Erfahrungen früherer Zyklen als Portfolio-Stabilisator erwiesen haben,
sobald der Bullenmarkt zu Ende geht. Dennoch gibt es auch bei den
Festverzinslichen noch einen Bereich, in dem sich von der aktuellen
Ertragsstärke der Unternehmen profitieren lässt: Hochzinsanleihen, insbesondere
in Europa, sind aufgrund ihres relativ hohen Risikoaufschlags von 4 Prozent bei
aktuell kaum vorhandenen Zahlungsausfällen attraktiv. Zusätzlich bieten
Hochzinsanleihen aufgrund der kürzeren Laufzeit einen gewissen Schutz gegenüber
weiter steigenden Zinsen.
"Auch wenn die Aussichten für Risikoanlagen zumindest verhalten positiv
erscheinen, sollten sich Anleger im jetzigen Kapitalmarktzyklus verstärkt
Gedanken über eine defensivere Ausrichtung ihres Portfolios machen", sagt
Tilmann Galler. Das hieße, die Aktienquote etwas zu verringern, die Zyklik
innerhalb des Aktiensegments zu reduzieren und bei festverzinslichen
Wertpapieren auf mehr Stabilität zu setzen.
Quelle: Investmentfonds.de
|