Investmentfonds.de
09.04.2019:
LFDE Macroscope: So nah und doch so fern
Köln, den 09.04.2019 (Investmentfonds.de) -
Olivier de Berranger, Chief Investment Officer und Enguerrand Artaz,
Fondsmanager La Financière de L`Echiquier
Lassen wir für einen Augenblick den Gegensatz zwischen der Lockerungspolitik der
Zentralbanken und einer mauen Gesamtwirtschaft, der das erste Quartal dominierte,
beiseite und widmen uns einem der großen Schreckgespenster des vergangenen Jahres:
der (Geo)Politik.
Beide Hauptthemen - die Handelsgespräche zwischen den USA und China, wie auch der
Brexit - scheinen auf die Zielgerade eingebogen zu sein. Aber es sind noch zu viele
Wendungen möglich und daher ist weiterhin Wachsamkeit gefragt.
Die Woche war prallvoll mit Nachrichten von der Handelsfront. Am Sonntag vor einer
Woche verlängerte China das Moratorium zur Aussetzung neuer Zölle auf Automobile und
Zulieferteile aus den USA, das am 1. April auslaufen sollte. Dies wurde als Zeichen
des guten Willens vor Wiederaufnahme der Gespräche in Washington gewertet, deren
Höhepunkt das Treffen zwischen dem chinesischen Vize-Ministerpräsident Liu He und
US-Präsident Donald Trump am Donnerstag war. Nach dem Gespräch sagte Trump, die USA
und China stünden kurz vor dem Zustandekommen eines Abkommens und könnten dieses
binnen vier Wochen schließen, wobei er "etwas Monumentales" ankündigte. Eine sehr
positive Nachricht, die jedoch nicht alle Zweifel beseitigt. Denn Trump warnte, ein
Scheitern der Gespräche könne das Ende der Verhandlungen bedeuten, und sein
Handelsbeauftragter Robert Lighthizer wies darauf hin, dass noch mehrere "größere
Probleme" zu lösen seien. Das Risiko scheint bei diesem Thema nun leicht asymmetrisch
zu sein, und die Märkte, die einen positiven Ausgang der Verhandlungen eingepreist haben,
könnten bei einer Wendung auf dem falschen Fuß erwischt werden.
Beim Brexit erzielte keine der neun alternativen Optionen, die den Abgeordneten auf der
Sitzung am vergangenen Montag vorgelegt wurden, eine Mehrheit. Premierministerin
Theresa May änderte daher abermals ihre Strategie. Sie reichte ihrem Labour-Widersacher
Jeremy Corbyn die Hand, bat um eine kurze Verlängerung der Frist von Artikel 50 und rief
zu einem parteiübergreifenden Bündnis auf, um auf dem EU-Gipfel am 10. April eine Lösung
präsentieren zu können. Es geht nicht um Änderungen an dem mit der EU im November
vereinbarten Abkommen, sondern um die Neugestaltung der zum Gesamtpaket gehörenden
politischen Erklärung. Der Labour-Chef ergriff die ihm gereichte Hand der
Premierministerin sofort, die Gespräche sind zur Stunde jedoch noch nicht zum Ende
gekommen.
Dieser Kompromissversuch zwischen Regierung und Opposition wird in Brüssel wohlwollend
aufgenommen. Der Präsident des Europäischen Rates, Donald Tusk, äußerte die Idee eines
flexiblen Aufschubs des Brexit-Termins um bis zu 12 Monate. Bei dieser Option könnte das
Vereinigte Königreichdie EU verlassen, sobald die Ratifizierung des Abkommens im Unterhaus
erfolgt ist. Die europäischen Staats- und Regierungschefs müssen dies allerdings noch
einstimmig beschließen. Das Risiko für die Märkte scheint jedenfalls etwas ausgewogener
zu sein als beim Thema Handelskrieg. Zwar würde ein ungeregelter Brexit insbesondere an
den europäischen Märkten und allen voran im Vereinigten Königreich einen Schock auslösen,
doch die möglichen Szenarien sind so zahlreich und unklar, dass auch ein positiver Ausgang
nicht vollständig eingepreist ist.
Auch wenn das Risiko einer Wendung in letzter Minute nicht auszuschließen ist, scheint in
jedem Falle ein Ende in Sicht. Ein positiver Abschluss wäre für die Märkte eine gute
Nachricht, jedoch nicht zwangsläufig ein ausreichend starker Impulsgeber, um eine Hausse
tragen zu können. Dies würde allerdings mehr Transparenz für die Anleger bieten und ihnen
ermöglichen, sich nun, da bei den Unternehmen die Berichtssaison für das erste Quartal
ansteht, wieder auf die wirtschaftlichen Fundamentaldaten zu konzentrieren.
Quelle: Investmentfonds.de
|