Investmentfonds.de
16.09.2019:
Marktkommentar Vontobel: Die Weltwirtschaft fängt sich wohl erst im zweiten Halbjahr wieder
Köln, den 16.09.2019 (Investmentfonds.de) -
Frank Häusler, Chief Strategist bei Vontobel Asset Management
Großzügige Geldpolitik der Zentralbanken angesichts trüber Wirtschaftsaussichten
folgerichtig
Die USA und auch China können die neu verhängten gegenseitigen Zölle verkraften
Die derzeitigen Rezessionsängste der Marktteilnehmer sind übertrieben
In diesem Jahr wurde der Triathlon in New York wegen großer Hitze abgesagt. Mit
atmosphärischen Störungen hat aber auch die Weltwirtschaft zu kämpfen.
Die Energy-Drinks der Zentralbanken dürften erst später im Jahr 2019 die beabsichtigte
Wirkung entfalten.
Der "Triathlon der Volkswirtschaften" bietet derzeit ein eher depremierendes Bild:
So droht dem erfolgsverwöhnten US-amerikanischen Athleten der Hitzschlag, während
sein ambitionierter Verfolger aus China zusehends zurückfällt. Die deutsche
Hoffnungsträgerin ist dagegen von einer ausgeprägten Erschöpfung gezeichnet und droht
sogar ganz aus dem Rennen auszuscheiden.
Außerdem ist die Stimmung unter den Teilnehmern gereizt.
Liquiditätsspritzen beleben nicht
Die Zentralbanken als Mitorganisatoren geben sich redlich Mühe, für einen reibungslosen
Ablauf des Wettkampfes zu sorgen. Von den im Jahr 2018 angekündigten Zinserhöhungen und
Liquiditätsverknappungen ist seit Anfang 2019 jedoch keine Rede mehr. Stattdessen hat
die USNotenbank Fed die Zinsen jüngst sogar gesenkt, und die Europäische Zentralbank
(EZB) beabsichtigt ihre lockere Geldpolitik auszuweiten. Zwar herrscht an den
Verpflegungsstationen Hochbetrieb, doch die angebotenen Energy-Drinks spornen die
Teilnehmer kaum zu mehr Tempo an. In Europa und China läuft die Konjunktur besonders
schleppend.
Viele Beobachter fragen sich derzeit, ob den Zentralbanken zunehmend die Kontrolle
entgleitet. Darauf sind mehrere Antworten möglich: Einerseits sind stützende
geldpolitische Maßnahmen willkommen, da eine ansprechende Wirtschaftsentwicklung
niedrige Zinsen und ausreichend Liquidität voraussetzt. Andererseits verlieren die
erneuten Liquiditätsspritzen zusehendes ihre Wirkung, denn auch beim Geld gilt das
ökonomische Prinzip des abnehmenden Grenznutzens. Dieser liegt unserer Meinung aber
immer noch weit über null. Der starke Rückgang der Anleihenrenditen zeigt auf, dass
sich die Wirtschaftsaussichten deutlich eingetrübt haben. Insofern ist die erheblich
großzügigere Geldpolitik der Zentralbanken nur folgerichtig. Die Finanzierungskosten
der Unternehmen sinken dadurch, wobei sich der positive Effekt erst mit einiger
Verzögerung einstellen wird. Gemäß unserer Analyse werden daher die Volkswirtschaften
die Früchte der geänderten Geldpolitik erst im zweiten Halbjahr 2019 ernten können.
Europäische Wirtschaft profitiert in der Regel neun Monate später von Liquiditätsmassnahmen
Andere Kraftspender zur Stelle?
Angesicht der Diskussion darüber, ob den Zentralbanken zunehmend die Kontrolle entgleitet,
stellt sich die Frage, ob vielleicht ein anderes Organisationskomitee das Rennen beleben
könnte. Schließlich verfügen auch Regierungen über Instrumente zur Ankurbelung der
Konjunktur, etwa steuerliche Anreize oder Investitionsprogramme.
In diesem Zusammenhang wird vor allem Deutschland genannt,da es die dringend benötigte
Erneuerung seiner Infrastruktur ohne große Anstrengungen finanzieren könnte.
Doch Berlin hat solchen Plänen eine klare Absage erteilt
und will vorerst an einer schwarzen Null, sprich einem zumindest ausgeglichenen
Haushaltsbudget, festhalten. Auch Italien denkt über Stützungsmaßnahmen für die
Wirtschaft nach, kann sich diese jedoch wegen der hohen Verschuldung nicht leisten.
Eingriffe von Regierungsseite sind also wenig wahrscheinlich. Allerdings könnten die USA
und China umfangreichere Konjunkturprogramme in Angriff nehmen, als bisher erwartet.
Mit harten Bandagen auf der Laufstrecke
Bei Rangeleien unter Spitzenläufern nützen sinnvolle Maßnahmen der Rennleitung wenig.
Der schwelende Handelskonflikt zwischen den USA und China hat sich mittlerweile wieder
verschärft: USPräsident Donald Trump hat Anfang August eine Importsteuer von 15% auf
bisher noch nicht besteuerten Einfuhren aus China in Höhe von 300 Milliarden US-Dollar
beschlossen. Immerhin hat er sie erst für die Hälfte der Güter per sofort erlassen,
wohl aus Sorge über die Reaktion an den Börsen.
Die Besteuerung für die andere Hälfte hat er auf Ende des Jahres anberaumt. Doch den
Marktteilnehmern sitzt die Furcht vor einer weiter eskalierenden Auseinandersetzung fest
im Nacken.
Lage nicht überdramatisieren
So ernst der Handelskonflikt zwischen den zwei weltweit größten Volkswirtschaften auch ist,
gilt es dennoch, die Relationen nicht aus den Augen zu verlieren. Bei Licht betrachtet,
können sowohl die USA als auch China die neu verhängten Zölle verkraften. Wir rechnen mit
einem negativen Konjunktureffekt von rund -0,1% für die USA bzw. -0,2% für China. Entgegen
der landläufigen Meinung hängt die chinesische Wirtschaft wenig von den USA ab. Zwar gehen
20% der chinesischen Exporte in die USA, doch nimmt Amerika lediglich etwa 5% der
Industrieproduktion Chinas in Anspruch. Rund 70% der chinesischen Kapazitäten sind für den
eigenen Markt bestimmt, 25% für andere Länder.
Daher halten wir die derzeitigen Rezessionsängste für übertrieben. Ein günstiges Szenario
setzt aber voraus, dass die wichtigsten Zentralbanken nicht nur reden, sondern auch Taten
folgen lassen. Davon gehen wir aus, obwohl beispielsweise der US-Notenbankchef
Jerome Powell alles daransetzt, keine allzu großen Erwartungen hinsichtlich einer
weiteren Lockerung der Geldpolitik zu wecken.
Quelle: Investmentfonds.de
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