Investmentfonds.de
19.03.2020:
Fidelity-Marktkommentar: Corona-Krise erinnert mehr an 1918 als an 2008
Köln, den 19.03.2020 (Investmentfonds.de) -
Carsten Roemheld, Kapitalmarktstratege von Fidelity International
Ausbreitung des Corona-Virus ist eine ereignisbezogene Krise und nicht
mit der Finanzkrise von 2008 zu vergleichen
Ereigniskrisen waren bisher deutlich kürzer und haben sich schneller erholt
als zyklische und strukturelle Krisen
Tourismusbranche und Einzelhandel sind stark betroffen, können sich aber
schnell wieder erholen, günstige Bewertung von Bankaktien
Die aktuelle Krise an den Kapitalmärkten wird oft mit der Situation 2008
verglichen, die vielen Anlegern noch präsent ist. Carsten Roemheld ist überzeugt,
dass wir nicht zwölf, sondern 102 Jahre zurückblicken sollten, um Anhaltspunkte
für die kommenden Monate abzuleiten. Im Epizentrum steht aktuell die Tourismus-
und nicht die Bankenbranche.
Der Ausbruch des Coronavirus sei wie die Grippepandemie von 1918/19 eine ereignis-
bezogene Krise. Damals dauerte die Rezession sieben Monate, obwohl der zweiten
Infektionswelle im Herbst 1918 mehr Menschen zum Opfer fielen als der ersten.
Während der Pandemie in den vom Ersten Weltkrieg geprägten Jahren 1918/19 wurde
ein Drittel der Weltbevölkerung infiziert; fünf Prozent starben.
Die Finanzkrise 2008 war hingegen eine Bilanzrezession, die durch den Zusammenbruch
des Immobiliensektors und den Vertrauensverlust in den Finanzsektor ausgelöst wurde.
Eine Preisklemme bei Immobilien, deren Wert sich derzeit auf rund 11 Billionen
US-Dollar summiert, könnte durchaus wie 1929 und 2008/2009 einen Konjunkturabschwung
nach sich ziehen.
Auch wenn sich die Zahl der Neuinfizierten in China seit Anfang März verlangsamt,
ist noch unklar, wie schnell das Virus global eingedämmt werden kann. Dennoch lassen
Vergleiche mit früheren ereignisbezogenen Krisen Rückschlüsse auf die Folgen für
einzelne Branchen zu:
Wie zunächst in China und anschließend weltweit wurde die Reise- und Tourismusbranche
schnell und heftig getroffen. Da der Sektor 10,4 Prozent zur globalen Wirtschafts-
leistung beisteuert und auf ihn weltweit zehn Prozent aller Beschäftigten entfallen,
wird der Dominoeffekt erheblich sein. Laut World Travel and Tourism Council benötigt
die Branche im Durchschnitt 19,4 Monate, um sich von Epidemien zu erholen.
Fluggesellschaften, Kreuzfahrtanbieter, Hotels, Restaurants und ihre Zulieferer werden
in den kommenden Monaten unweigerlich in Mitleidenschaft gezogen. Die Lage in diesen
Industriezweigen wird sich wohl erst Sommer 2021 wieder normalisieren.
Auch den stationären Einzelhandel trifft die Krise hart. Er wird gegenüber dem
Internethandel weiter an Boden verlieren. Mit dem schwindenden Vertrauen der Konsumenten
und der angespannten Lage an den Kreditmärkten ist zu befürchten, dass etliche
Einzelhändler die Krise nicht überstehen werden.
Auch Bankaktien werden aktuell weit unter ihrem Buchwert gehandelt, so dass ihre
Dividendenrenditen deutlich über US-Staatsrenditen liegen. Wie in der Finanzkrise haben
Investoren Bankaktien reflexartig abgestoßen. Europäische und amerikanische Banken sind
heute jedoch deutlich besser mit Kapital ausgestattet und widerstandsfähiger als 2008.
Derzeit entfällt vor allem in den USA der Löwenanteil des Kreditrisikos nicht auf Banken,
sondern auf Private-Equity- und Risikokapitalgesellschaften, Hedgefonds und Versicherer.
Sie werden die größten Verluste erleiden. Banken dürften die Krise dagegen ähnlich gut
überstehen wie das Platzen der Dotcom-Blase 2001/02.
Da die Konjunktur in China langsam wieder anspringt und die Lager vielfach leer sind,
dürften sich Industrieunternehmen in den nächsten sechs Monaten schneller erholen als
die Konsumgüterbranche. Zudem bieten mehr als 75 Prozent aller Industrietitel, und damit
so viele wie noch nie, Dividendenrenditen, die über den Renditen von US-Staatsanleihen
liegen.
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Quelle: Investmentfonds.de
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