Investmentfonds.de
22.04.2020:
Die Coronakrise und ihre Folgen - Denkansätze
Köln, den 22.04.2020 (Investmentfonds.de) -
Carsten Mumm, Chefvolkswirt des Bankhauses DONNER & REUSCHEL
Frank Wieser, Geschäftsführer von PMP Vermögensmanagement
1. Kurzfristige Herausforderungen nach Corona
"Runterfahren ist einfach, Hochfahren schwieriger"
So gut und schnell die Regierung Maßnahmenpakete zur
Bekämpfung der akuten Corona-Pandemie geschnürt hat,
so wichtig ist jetzt ein bundesweiter Masterplan für
das "Erwecken" der deutschen Wirtschaft und des
öffentlichen Lebens aus dem selbstverordneten "Koma".
Ein Beispiel ist die derzeit viel diskutierte Öffnung
der Schulen. Um kein Klumpenrisiko einzugehen, wird
man zunächst nicht alle Schüler zurückholen. Damit
stellt sich aber die Frage, ob zuerst die Gymnasiasten
zugelassen werden, um die verspäteten Abiturprüfungen
abzulegen oder ob die Fünftklässler dringender sind,
damit sie Platz für die bald kommenden Grundschüler
machen. Was ist mit G8 und G9 – wird G8 automatisch
zu G9? Bildung ist zwar Ländersache, ohne abgestimmtes
einheitliches Handeln wird es in diesen Bereichen
jedoch nicht - gut - gehen. Ein bundesweiter Plan ist
erforderlich und kein Masterplänchen einzelner Ressorts
oder Bundesländer.
Andere Beispiele sind das Hotel- und Gaststättengewerbe,
Taxifahrer, Kioskbesitzer, die Organisation von
Großveranstaltungen etc. Hierbei müssen zudem Fragen der
sozialen Gerechtigkeit beachtet werden. Welche Tätigkeiten
dürfen wann, in welchem Ausmaß und in welcher Reihenfolge
wieder aktiv werden? Die beschlossenen Maßnahmen müssen
stets klar und deutlich nach außen kommuniziert werden -
ggf. mit dem Hinweis, dass nicht jede Ungerechtigkeit
auszuschließen ist bzw. man nicht alle Partikularinteressen
in jeder Phase berücksichtigen kann.
Wirtschaftliche Schäden vs. medizinische Notwendigkeiten
Eine genaue Abwägung der Vor- und Nachteile, die eine
verlängerte Shutdown-Phase1 mit sich bringt wird bereits
intensiv geführt. Irgendwann wird man die Bewegungs-
einschränkungen schon deswegen lockern müssen, um die
notwendige Infizierung breiterer Bevölkerungsschichten zu
ermöglichen. Zudem drohen der Wirtschaft bei längerer
Abschaltung mehr Pleiten, Entlassungen und noch längere
Anlaufphasen. Es braucht eine Gratwanderung zwischen dem
Schutz der Krankenhäuser vor einer Überlastung und einem
zeitnahen Wiederhochfahren des Wirtschaftslebens.
Die erheblichen wirtschaftlichen Kosten der Shutdown-Phase
sollten Anlass sein, nahezu jeden möglichen medizinischen
Schritt zur Verkürzung dieser Phase zu ermöglichen. Beachtet
werden muss, dass ein Hochfahren der Wirtschaftsaktivität
oftmals nur langsam erfolgen kann, etwa weil Zulieferketten
noch unterbrochen sind oder die Nachfrage stockt. Zudem
müssen in der Industrie - in der die Arbeit nicht dezentral
von zu Hause aus erledigt werden kann – einige Prozesse
adjustiert werden, z.B. um erhöhte Ansteckungszahlen bei
der Rückkehr zur Arbeit in Teams zu vermeiden.
2. Wie die Welt nach der Akutphase der Pandemie aussehen könnte
Umgang mit stark erhöhten Staatsschulden
Irgendwann müssen die im Zuge der Coronakrise zumeist
massiv ausgeweiteten Staatsschulden zurückgefahren werden.
Beispielsweise liegt die Staatsverschuldung in den USA schon
heute über 100 Prozent bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt,
ein Niveau, das zuletzt in der Nachkriegszeit erreicht wurde.
Anders als damals wird es in diesem Fall allerdings nicht zu
einem langjährigen und strukturell höheren Wirtschafts-
wachstum kommen, der die Relation zwischen Schulden und
Wirtschaftsleistung wieder senken könnte. Auch Steuer-
erhöhungen in größerem Umfang bei ohnehin schwacher
Wirtschaftsdynamik würden schädlich sein. Aber wie soll das
funktionieren, wenn doch offensichtlich Krankenhäuser - in
den USA sogar das gesamte Gesundheitssystem - unterfinanziert
sind?
Eine Möglichkeit wäre einige Sozialleistungen nicht
einzuführen und die weltweit steigenden Rüstungsausgaben zu
beschränken. Es dürfte breiten Teilen der Bevölkerung kaum zu
vermitteln sein, dass große Teile des Staatshaushaltes in
Rüstung und nicht in den Sozial- bzw. Gesundheitsbereich -
oder vor allem Bildung und Forschung - investiert werden.
Die jahrelange Diskussion um die Nato-Beiträge Deutschlands
werden vor diesem Hintergrund wohl eine andere Dimension
erreichen. Zudem sollte man sich schon heute Gedanken über
einen Mechanismus zur Begrenzung ausufernder Schulden machen.
Dabei hilft allerdings kaum die dogmatische "Schwarze Null".
Vielmehr braucht es einen konkreten Plan, um die Perspektive
eines Schuldenabbaus aufzuzeigen. Die Notenbanken können nicht
ewig in die Bresche springen und den Staaten jegliche Ausgaben
indirekt finanzieren.
Implikationen für die Inflation
Einige Experten erwarten aufgrund des Missverhältnisses
zwischen Geldmenge und Wirtschaftsleistung stark erhöhte
Preissteigerungsraten. Diese würden die Zinsen ansteigen
lassen und für Besitzer von Anleihen zwischenzeitliche
Kursverluste oder gar noch höhere Ausfallraten bedeuten.
Allerdings würden höhere Zinsen auch die Refinanzierung der
Staaten erschweren, weshalb allein schon ein Interesse an
einer Fortführung des jahrelangen strukturell niedrigen
Zinsniveaus bestehen dürfte. Die EZB wird aus Ihrer
"Hüterin der niedrigen Zinsen"-Rolle im Sinne der südlichen
Eurozonen-Mitgliedstaaten kurzfristig nicht entkommen - zumindest
nicht ohne eine Neuauflage der Euro-Staatsschulden- bzw.
Vertrauenskrise zu riskieren. Somit sind langjährige Wertpapier-
kaufprogramme nicht unwahrscheinlich, um das Zinsniveau allgemein
zu drücken.
Zudem wäre eine erhöhte Inflation aus Sicht der Notenbank
sogar wünschenswert, da das EZB-Ziel von nahe zwei Prozent in
den letzten Jahren - trotz ultra-expansiver Geldpolitik - nie
erreicht wurde. Im Gegenteil sind die Inflationserwartungen
trotz hoher Auslastung des Arbeitsmarktes und boomenden Wachstums
(z.B. in den USA und Deutschland) seit Jahren sogar stetig
gesunken. Aus Sicht eines Schuldners sind niedrige Nominalzinsen
und eine relativ hohe Inflationsrate wünschenswert, denn dadurch
reduziert sich laufend der reale Wert der Schulden. Hinzu kommen
einige grundsätzliche deflationär wirkende Entwicklungen, wie die
Digitalisierung, der Wandel von Industrie- zu Dienstleistungs-
gesellschaften und damit ein niedrigerer gewerkschaftlicher
Organisationsgrad sowie die Demografie in den westlichen
Industrienationen, die zu einem erhöhten Sparvolumen zulasten der
Ausgaben führt.
Kurzfristig ist entscheidend, ob nach der Krise die Nachfrage
viel schneller als die Produktion deutlich anspringt und daher
über einen längeren Zeitraum nicht mengenmäßig ausreichend
bedient werden kann. Selbst dann dürften aber erhöhte Preis-
steigerungsraten nur vorübergehend eintreten.
Sind möglichst günstige Zulieferer und
"just-in-time" noch gefragt?
Unternehmen werden sich überlegen, ob sie wie vor der
Krise wirtschaften können bzw. wollen. So wurde einigen
Industrien schmerzlich aufgezeigt, was Abhängigkeiten von
einzelnen Zulieferern oder Zulieferer-Regionen bedeuten kann.
Fällt die Lieferung eines wichtigen Bauteils aus, steht die
komplette Produktion still. Die Kosten dafür dürften selbst
jahrelang gesparte Ausgaben durch den vielleicht günstigsten
Einkauf in einem Billiglohnland übersteigen. Hinzu kommt, dass
auch die vordergründig kostengünstige "Just-in-time"-Produktion,
bei der Zuliefer- und Produktionstermine genau aufeinander
abgestimmt werden, sehr teuer werden kann, wenn bei Zuliefer-
Engpässen kein Lager vorhanden ist. Viele Produktionsprozesse
dürften vor diesen Hintergründen eine neue Einwertung erfahren
und eine Diversifikation von Zulieferern, ggf. eine tiefere
Wertschöpfungskette - also die eigenständige Herstellung von
Vorprodukten - und die Investition in Lagerkapazitäten forcieren.
Globalisierung wird hinterfragt
Der Grenznutzen einer weiteren Globalisierung lag schon vor
der Krise nahe Null. Die großen Produktivitätsgewinne durch die
weltweite Arbeitsteilung und vor allem durch die Nutzung
günstigerer Lohnniveaus in Schwellenländern wurden in den
vergangenen 30 bis 40 Jahren erzielt. Besonders China kann und
will die Rolle als "billige Werkbank der Welt" angesichts des
steigenden Wohlstands und damit steigender Löhne nicht mehr
einnehmen. Vielmehr entwickelt sich China weg von der industriellen
Massenproduktion und hin zu einem führenden Technologiestandort
sowie wahrscheinlich auch der größten Wirtschafts- und Militärmacht
der Welt.
Die Krise wird die Ablösung der USA als Wirtschaftsnation
Nummer 1 beschleunigen und die Skeptiker der grenzenlosen
Globalisierung unterstützen. Auch wird der ungezügelte globale
Personenverkehr die Vorkrisenniveaus möglicherweise nicht mehr
erreichen. Die Abdeckung strategisch wichtiger Produktions-
kapazitäten wird verstärkt im Inland vorgenommen (z.B. Gesundheit,
strategische Infrastruktur etc.). Um dies zu realisieren, dürften
auch Staatskonzerne in bestimmten Sektoren eine Renaissance erleben.
Digitalisierung und Technologisierung erhalten Vorschub
Die Nutzung neuester technologischer Entwicklungen wird
eine viel größere Rolle spielen. Einerseits wurde den Menschen
in weniger stark digitalisierten Volkswirtschaften zwangsweise
ein Schnellkurs in der Nutzung von Online-Tools und -Dienst-
leistungen gewährt. Die Erkenntnis ist, dass heutzutage vieles
online erledigt werden kann und sich z.B. einige ehemals
bedenkenlos durchgeführte Dienstreisen und Präsenzveranstaltungen
erübrigen. Andererseits helfen Digitalisierung, Robotik,
Automatisierung und die Nutzung Künstlicher Intelligenz (KI) dabei,
bestehende Abhängigkeiten zu reduzieren, bspw. durch die Möglichkeit
einzelne Bauteile über einen 3D-Drucker herzustellen.
Renaissance der Staatswirtschaft?
Das im Zuge der Coronakrise erreichte Niveau an staatlichen
Interventionen sowie die enormen Eingriffe in die Privatwirtschaft
und in grundlegende Menschenrechte - wie Bewegungsfreiheit oder
Datenschutz - war in den letzten Jahrzehnnten unvorstellbar.
Selbst kleinste Aspekte, wie etwa Abstandsregelungen in Restaurants
dürften noch eine längere Zeit ihre Gültigkeit behalten. Wären in
den kommenden Monaten zwecks Abfederung der wirtschaftlichen Schäden
auch noch staatliche Beteiligungen nötig, würde dies kurzfristig
zur Stabilisierung beitragen. Fraglich ist jedoch, ob die Regierungen
genauso schnell wie sie geholfen haben, auch den Rückzug aus dem
Dirigismus antreten werden bzw. können. Eher ist damit zu rechnen,
dass staatliche Eingriffe in persönliche und gewerbliche Freiheiten
sowie Beteiligungen ebenfalls noch lange bestehen bleiben und ggf.
in einzelnen Bereichen - wie dem Gesundheitswesen - sogar noch
erweitert werden.
3. Schlussfolgerungen für Anleger
Dauerhaft niedrige Zinsen
Die Zinslandschaft im Segment der Staatsanleihen mit bester
Bonität wird sich noch länger auf niedrigsten Niveaus bewegen.
Zur Finanzierung der enorm ausgeweiteten Staatsschulden sind
Staaten auf niedrige Nominalzinsen angewiesen, am besten unterhalb
der Inflationsrate. Die resultierende finanzielle Depression
entspricht einer langfristigen sukzessiven Umverteilung vom Sparer
bzw. Gläubiger der Anleihen zum Schuldner, der real - also in
Kaufkraft gemessen - weniger zurückzahlen muss, als er aufgenommen
hat. Damit dürfte auch der allgemeine Anlagenotstand anhalten und
Anleger nach der Krise grundsätzlich wieder zum Kauf von höher
verzinslichen Anleihen und realen Werten, wie Aktien und Immobilien,
motivieren. Allerdings ist zumindest kurzfristig von einer stärkeren
Differenzierung auszugehen. Zinsdifferenzen in Anleihesegmenten mit
schlechterer Bonität dürften angesichts der Gefahr verstärkter Ausfälle
in den kommenden Monaten noch länger ausgeweitet bleiben.
Aktien sind Gewinner und Verlierer gleichermaßen
Zu den Gewinnern dieser Krise gehören Forschung und Wissenschaft,
die endlich die Beachtung erfahren sollten, die ihnen zusteht. Nicht
zuletzt die offensichtlich deutlich gesteigerte Rolle von
Wissenschaftlern in politischen Entscheidungsprozessen ist dafür ein
Beleg. Schon vor der Krise wurde medizinisches Wissen nahezu in Echtzeit
international geteilt. Wissenschaftliche Arbeit über Ländergrenzen
hinweg wird Normalität werden, vor allem bei der Begegnung globaler
Problemfelder, wie etwa einer Virusinfektion. Künstliche Intelligenz
(KI) wird die Auswertung aller weltweiten Daten und damit die
Fortschritte der Wissenschaft beschleunigen. Die Chancen auf ein
globales Miteinander sind zumindest im Feld der Wissenschaft gestiegen.
Große und forschungsintensive Unternehmen werden die Gewinner sein,
aber auch Hersteller von KI im medizinischen Bereich.
Zudem sind Unternehmen mit schlanken Produktionsprozessen und
Plattformen im Vorteil. Am Beispiel der deutschen Automobilindustrie:
Je komplexer das herzustellende Auto, desto länger braucht das
Hochfahren der Produktion. Am Ende fehlt möglicherweise der
Verbandskasten aus Asien oder die Glühlampe und das Auto kann nicht
ausgeliefert werden. Unternehmen mit weniger komplexen Prozessen werden
daher relativ besser abschneiden. Schon heute benötigt bspw. Tesla nur
einen Bruchteil der Teile, die ein Hersteller eines Fahrzeugs mit
Verbrennungsmotor benötigt.
Verstärkte Investitionen in das Gesundheitswesen
Vor allem die besonders stark von der Coronapa-Pandemie
betroffenen Staaten wie China, Italien oder auch die USA werden nach
der Krise einigen Aufwand und deutlich höhere Kosten in Kauf nehmen,
um die Wiederholung eines solchen Krisenszenario auszuschließen.
Entsprechend gut positionierte und schnell lieferfähige Unternehmen
aus dem Gesundheitssektor dürften von der resultierenden höheren
Nachfrage profitieren. Auch in Deutschland ist davon auszugehen, dass
zumindest kein weiterer Abbau von Krankenhauskapazitäten erfolgt,
sondern vielmehr an besonders kritischen Stellen sogar mehr investiert
wird. Hinzu kommen die absehbaren Bestrebungen, Teile der Gesundheits-
versorgung, etwa die Produktion wichtiger Medikamente, wieder ins
Inland zu verlegen.
Veränderte Immobiliennachfrage
Auch auf nicht direkt von der Coronakrise betroffene Anlagesegmente
sind Auswirkungen zu erwarten. So könnte der seit Jahren boomende
Büroimmobilienmarkt in Deutschland weniger Nachfrage erfahren. Einerseits
werden kurzfristig geplante Umzüge oder Immobilienkäufe, wie zur
Vergrößerung der Kapazitäten, sicher in vielen Fällen aufgeschoben werden.
Nachdem die Krise verdeutlicht hat, wie gut größtenteils das dezentrale
Arbeiten aus dem Home Office funktioniert, dürfte der schon jahrelang
steigende Trend, nach dem Unternehmen nicht mehr für alle Angestellten
einen eigenen Büroarbeitsplatz bereit halten, einen Anschub erhalten.
Vielmehr werden Heimarbeitsplatzkapazitäten eine strukturell höhere
Bedeutung erhalten und dadurch ggf. sogar die Nachfrage nach
Wohnimmobilien ankurbeln. Auch Logistikimmobilien dürften aufgrund
verstärkter Lagerhaltung eine zusätzliche Nachfrage erfahren.
Alternative Anlagen ohne tägliche Preisschwankungen
Nicht an der Börse gehandelte Anlagen konnten in der jüngsten Krise
eine ihrer größten Stärken ausspielen: sie unterliegen keinen oder
zumindest deutlich reduzierten kurzfristigen Preisschwankungen. Vor
allem für bilanzierende Anlegergruppen bietet dies einen wesentlichen
Vorteil, denn es bedarf keiner Abschreibungen auf den jeweiligen
Marktpreis, wodurch ein stabilisierender Effekt für das Gesamtvermögen
entsteht. Entsprechende Anlagen, wie Immobilien, private debt, private
equity, Infrastruktur etc. dürften daher strukturell höhere Gewichtungen
erhalten.
Quelle: Investmentfonds.de
|