Investmentfonds.de
15.05.2020:
OFI AM: Quo vadis US- und europäischer Aktienmarkt?
Köln, den 15.05.2020 (Investmentfonds.de) -
Jean-Marie Mercadal, CIO von OFI Asset Management
US-Aktien sind seit Jahresbeginn um "nur" 10% gefallen. Das ist nicht viel,
wenn man bedenkt, dass die Weltwirtschaft vor einer ihrer schlimmsten
Rezessionen in der modernen Geschichte steht.
"Nachdem die Aktienmärkte auf dem Höhepunkt der Panik im März in die Tiefe
gestürzt sind, haben sie sich spektakulär erholt: Der S&P 500 ist seitdem
um mehr als 30%, der Nasdaq-Index um 38% und europäische Aktien um 25%
gestiegen. Das ist eine logische Reaktion auf die von den Zentralbanken und
Regierungen eingeleiteten Maßnahmen. Aber auch in den letzten Tagen waren
die Märkte recht stabil, weshalb in die Kurse mehr als eine kurzfristige
Erleichterung eingepreist zu sein scheint. Welche Signale senden die Märkte
also aus?
Der Technologiesektor wird seinen Abstand zu anderen Sektoren noch
weiter vergrößern. In einer Zeit, in der sich die Volkswirtschaften im
Abschwung befinden, sind Technologie- und Online-Unternehmen die Haupt-
profiteure der Krise. Die fünf größten Unternehmen nach Marktkapitalisierung
im S&P 500-Index machen über 20% des Index aus. Die 10 größten Positionen
im Nasdaq-Index belaufen sich auf etwa 45% der 2.700 Aktien des Index.
Die Namen der größten sind allgemein bekannt: Google, Amazon, Facebook, Apple,
Microsoft und Cisco. Das Kurs-Gewinnverhältnis für die kommenden 12 Monate
der 10 größten Aktien des Nasdaq liegt bei 47 - eine sehr hohe Bewertung.
Im Gegensatz zur Technologieblase im Jahr 2000 sind diese Unternehmen
profitabel und werden von steigenden Investitionen in Kommunikations-Netzwerke
und in das Cloud-Geschäft profitieren. Im Gegensatz dazu sind Aktien in
"physischen" Sektoren wie Fluggesellschaften, Automobil, Industrie und Öl aus
bekannten Gründen stark getroffen.
Die Wirtschaft wird im zweiten Quartal die Talsohle durchschritten haben,
und die Zinssätze werden bei 0 bleiben. Die Epidemie scheint ihren Höhepunkt
erreicht zu haben. Die Statistiken zur Infektionsausbreitung beginnen mehr oder
weniger fast überall nach unten zu tendieren. Der Lockdown wird daher allmählich
aufgehoben, und die Wirtschaft kommt langsam wieder in Fahrt. Die Aktien-
bewertungen deuten darauf hin, dass die Märkte bis September wieder mit einem
gewissen Grad an Normalität rechnen - mit noch niedrigeren Zinssätzen, mit
Schulden, die von den Zentralbanken übernommen werden, und mit billigem Öl.
Wie die Statistiken der Vergangenheit gezeigt haben, können wir daher
logischerweise davon ausgehen, dass die Märkte einige Monate vor dem Ende der
Rezession die Talsohle erreicht haben werden. So weit so normal. Darüber hinaus
leisten die Regierungen eine enorme Unterstützung, die wahrscheinlich andauern
wird. Die Konjunkturprogramme sind größer als 2008 und machen rund 3% des BIP in
der Eurozone und über 5% des BIP in den USA aus. Darüber hinaus wird die
Geldpolitik locker bleiben, die Zinsen bei etwa 0% liegen und die Wertpapier-
kaufprogramme werden vielleicht sogar noch mehr als bisher ausgeweitet werden
- im Fall der US-Notenbank auf den Hochzinsmarkt.
Wenn es eine zweite Epidemie geben sollte, herrscht die Meinung vor, dass
die Regierungen anders reagieren werden als bisher. Einige befürchten schon, dass
der Lockdown als Heilmittel letztendlich schlimmer sein könnte als die Krankheit.
Trotz der staatlichen Unterstützung besteht die Gefahr von weiteren Konkursen -
vor allem im Dienstleistungssektor und bei kleineren Unternehmen, einem Anstieg
der Arbeitslosigkeit und damit auch einer erhöhten Sparquote. Im Falle einer
zweiten Infektionswelle könnte es sein, dass sich die Regierungen nicht wieder an
den Empfehlungen der Gesundheitsexperten orientieren. Die Konsequenzen für die
Wirtschaft könnten unter den oben beschriebenen möglichen Umständen wichtiger als
die gesundheitlichen Konsequenzen eingestuft werden. Zumal es ein zweites Mal
schwieriger sein wird, die Bevölkerung so strikt wie dieses Mal einzuschränken.
Wo liegt also das Problem?
Wir glauben nicht an die Signale des Marktes und bleiben für die nahe Zukunft
eher vorsichtig. Wir gehen davon aus, dass wir nur sehr langsam aus dieser Krise
herauskommen werden. Es gibt viele Hürden für eine schnelle Erholung, was die
Märkte daran hindert wird, in diesem Tempo zu steigen. Die Erholung in den
meisten westlichen Volkswirtschaften wird davon abhängen, ob das Verbraucher-
vertrauen zurückkommt, um die Nachfrage wieder anzukurbeln. Erst dann werden die
Unternehmen wieder anfangen zu investieren. Dieser Weg könnte angesichts einer
steigenden Arbeitslosigkeit ein recht langer sein…
Der Schwere der Krise nach zu urteilen, können wir davon ausgehen, dass die
Unternehmensgewinne in diesem Jahr um 35% bis 40% zurückgehen werden, was ein
Kurs-Gewinnverhältnis (KGV) von etwa 27 für US-Aktien und 18 für Aktien der
Eurozone für 2020 impliziert. Wenn wir berücksichtigen, dass 2020 ein außer-
gewöhnliches Jahr ist, würde das KGV auf der Grundlage der bekannten Gewinne für
2019 bei 18 für US-Aktien und 15 für Aktien der Eurozone liegen. Dies scheint in
der Tat realistischer zu sein, insbesondere da die Renditen von Staatsanleihen
nahe Null liegen, signalisiert aber auch wenig Aufwärtspotenzial.
Wir glauben daher, dass die Märkte in den kommenden Wochen unbeständig sein
werden und sich phasenweise konsolidieren. Im Falle eines Abschwungs wäre unserer
Meinung nach ein KGV von 15 auf der Grundlage "normalisierter" Gewinne nahe dem
Niveau von 2019 für S&P 500-Aktien eine tragfähige Unterstützungszone. Damit
würde der S&P 500 bei etwa 2.250 liegen, was einen möglichen Rückgang um etwa
20% gegenüber den derzeitigen Niveaus bedeuten würde. Wir würden dies unter den
gegenwärtigen Umständen als ein Extremszenario betrachten. Gerade in einer
solchen Baisse-Phase, die unserer Meinung nach durchaus plausibel ist, sollten
Anleger langsam aber sicher wieder in Aktien investieren.
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Quelle: Investmentfonds.de
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