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08.11.2021:
Carmignac: Inflation könnte Zentralbanken überrollen
Köln, den 08.11.2021 (Investmentfonds.de) -
Frédéric Leroux, Mitglied des Strategischen Investmentkomitees
bei Carmignac
Ist die Inflation von Dauer? Die Wahrscheinlichkeit ist
zwar gering, doch die Auswirkungen wären erheblich
Paris, 8. November 2021. Das Thema Inflation ist heute in
aller Munde. Ist sie nur ein vorübergehendes Phänomen, wie
der Vorsitzende der US-Notenbank Federal Reserve (Fed),
Jerome Powell, unablässig betont, oder ist sie dauerhaft?
Die Zentralbanken haben die Weltwirtschaft jahrelang mit
ihrer ausgeprägten Niedrigzinspolitik unterstützt. Werden
sie an dieser ultralockeren Politik festhalten? Oder
werden sie sich stattdessen für eine allmähliche
Normalisierung ihrer Geldpolitik entscheiden, nachdem
sie über ein Jahrzehnt alles daran gesetzt haben, ein
Abrutschen in die Depression abzuwenden?
Seit die Inflation 1980 in den Industrieländern ihren Höhepunkt
erreichte, sind die Teuerungsrate und die Zinsen 40 Jahre lang
zurückgegangen, bis hin zur Deflation. In Europa erlebten wir
sogar jahrelang ein bis dato unvorstellbares Experiment mit
Negativzinsen. Zwar gab es auch phasenweise Preisschübe, so
etwa 2011 und 2018. Diese waren allerdings nur von kurzer Dauer.
Die Disinflation der vergangenen 40 Jahre wurde durch eine sehr
starke Lohnkonkurrenz aus Schwellenländern, eine verstärkte
Produktionsverlagerung auf bestimmte Regionen und die
Auswirkungen des technischen Fortschritts auf wenig
qualifizierte Arbeitsplätze in den Industrieländern ermöglicht.
Aufgrund dieser Faktoren blieben die Löhne hinter den Preisen
für Waren und Dienstleistungen zurück - es entstand ein
Teufelskreis mit einer sich selbst tragenden Inflation.
Diese deflationären Kräfte existieren nach wie vor.
In Verbindung mit der Überalterung der Bevölkerung und einer
in der Nachkriegszeit beispiellosen Verschuldung der
Weltwirtschaft sind sie die am häufigsten angeführten
Gründe für die Annahme, dass die derzeitige Inflation nur
vorübergehend ist. Wenngleich das Wiederhochfahren der
Weltwirtschaft nach der Corona-Krise den Preisanstieg aufgrund
von Versorgungsengpässen (zum Beispiel bei Halbleitern und
Arbeitskräften) oder der Unterbrechung von Lieferketten
gefördert hat: Die Tatsache, dass das Ende dieser Engpässe
absehbar ist, spricht für eine nur vorübergehende Inflation.
Aus diesem Grund gilt dies nun als wahrscheinlichstes Szenario
- lediglich über die Dauer herrscht keine einheitliche Meinung.
Allerdings gibt es auch ein alternatives Szenario:
Zwei voneinander unabhängige Dynamiken könnten durchaus eine
dauerhaftere Inflation bewirken.
Werden wir einen Paradigmenwechsel erleben?
Die erste Dynamik sind die Strom- und Energiepreise. Die erzwungene
Energiewende hat zu einem Rückgang der Investitionen in fossile
Brennstoffe geführt, die sich anscheinend nicht so leicht ersetzen
lassen wie erwartet. Der Anstieg der Öl-, Gas- und Kohlepreise
wurde hierdurch noch verstärkt, und zwar auch aufgrund der
jüngsten Klima-Ereignisse, die zu einem Produktionsrückgang
geführt haben. Ein strenger Winter könnte diesen Energiepreisschub
verschärfen und verlängern, was wiederum Auswirkungen auf die
gesamte Weltwirtschaft hätte.
Die zweite Dynamik beobachten wir aktuell auf dem US-Arbeitsmarkt.
Dank der - während der Gesundheitskrise aufgelegten -
Sozialprogramme haben die US-Haushalte zwei Billionen US-Dollar
an überschüssigen Ersparnissen und damit 11 Prozent des BIP
angehäuft. Vor diesem Hintergrund können Arbeitnehmer ihre Rückkehr
an den Arbeitsplatz in aller Ruhe verhandeln. Damit haben sie
erstmals seit über 40 Jahren bei Lohnverhandlungen die Oberhand,
da die Unternehmen Arbeitskräfte benötigen, um ihre Auftragsbücher
abzuarbeiten. Infolgedessen sind die Gehälter im Privatsektor in
den letzten zwölf Monaten global um 5,5% gestiegen - so stark
wie zuletzt 1982. Gleichzeitig sinkt die Erwerbsquote in einer
Zeit, in der es mehr Stellenangebote gibt als je zuvor. Ist dies
vorübergehend oder eher dauerhaft? Dies wird sich in Anbetracht
der auslaufenden Sozialprogramme, des Schulanfangs (der die
Eltern von der Kinderbetreuung befreit) und der nachlassenden
Bedrohung durch das Coronavirus in den USA in den nächsten
Monaten zeigen.
Von einer dauerhaften Inflation auszugehen, gleicht nach wie vor
einer Wette mit geringer Erfolgsaussicht. Dennoch sollten die
Zentralbanken auch dieser Möglichkeit ihre Aufmerksamkeit schenken.
Sie sind nach wie vor davon überzeugt, dass die Entscheidung, den
Liquiditätshahn auf- oder zuzudrehen, allein bei ihnen liegt. Doch
was, wenn sich die derzeitige Inflation als dauerhaft erweist?
Dann wäre sie der bestimmende Faktor für die Höhe der Zinssätze -
und die Zentralbanken hätten keine Wahl, als zu reagieren.
Und die Zeiten, in denen die Zentralbanken uns bei der kleinsten
wirtschaftlichen Abkühlung zu Hilfe eilen, wären vorbei, da die
Inflation die gewohnt großzügigen Maßnahmen verhindern würde.
Wir könnten also einen echten Paradigmenwechsel erleben. Die
sogenannten Fed Watchers, also die Personen, die alle Äußerungen
und Entscheidungen der US-Notenbank aufmerksam verfolgen und
zwischen den Zeilen lesen können, um Nichtgesagtes zu
entschlüsseln und künftige Handlungen zu antizipieren, würden
zuerst ihren Heiligenschein und dann ihren Job verlieren, weil die
Inflation in ihrer ungeschminkten Realität uns alle einholen würde.
Da die Wahrscheinlichkeit einer solchen Rückkehr zu den Ursprüngen
zwar gering ist, aber dennoch besteht, sollten wir der Möglichkeit
einer stabilen Inflation mit ihren potenziellen Folgen für uns
Sparer und Anleger durchaus Beachtung schenken.
Denn: Wie würden sich steigende Anleihezinsen auf beispielsweise auf
Euro lautende Lebensversicherungen auswirken? Würden Geldmarkt-
produkte wie Sparbücher oder Sparpläne der Banken nicht zur
Konkurrenz von Anleihen werden? Könnten beliebte Wachstumswerte,
also Unternehmen, die ihre Gewinne unabhängig vom Wirtschaftswachstum
steigern und oft die Basis der Portfolios bilden, ihre hohen
Bewertungen aufrechterhalten? Und was ist mit Gold oder dem
Immobilienmarkt? Ja, wir sollten auf jeden Fall über die Möglichkeit
einer stabilen Inflation nachdenken, auch wenn sie uns noch
illusorisch erscheint!
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Quelle: Investmentfonds.de
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