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29.03.2022:
Carmignac | Mündet Putins Einmarsch in die Ukraine in eine neue Weltordnung?
Köln, den 29.03.2022 (Investmentfonds.de) -
Frédéric Leroux, Mitglied des Strategischen Investmentkomittees
bei Carmignac
Mündet Putins Einmarsch in die Ukraine in eine neue Weltordnung?
Paris, 29. März 2022 - Die russische Invasion in der Ukraine ist ein
schwerwiegendes Ereignis mit vor allem humanitären, aber auch
wirtschaftlichen Folgen, das die überwiegende Mehrheit westlicher
Beobachter und Vermögensverwalter wie uns völlig unvorbereitet
getroffen hat.
Russische Schuldtitel verloren nahezu unmittelbar nach dem Einmarsch 60% bis 80%
ihres Werts. Die in Großbritannien notierten russischen Aktien, hauptsächlich
Titel von Banken, Ölproduzenten oder anderen Anbietern von Industrierohstoffen,
verzeichneten zwischen dem 16. Februar und dem 1. März, einem Tag bevor die
Börsennotierungen ausgesetzt wurden, zeitgleich einen Wertverlust von 92% bis 99%.
Parallel dazu schnellten die Gaspreise in Europa umgehend um das Zweieinhalbfache
nach oben und Öl verteuerte sich um 55%.
Warum gab es sofort derart umfangreiche Korrekturen? Dies lässt sich nur anhand
von zwei unterschiedlichen Faktoren erklären.
Der erste sind natürlich die vom Westen verhängten Sanktionen, unter anderem der
amerikanische und britische Importstopp für Öl und Gas aus Russland, der Ausschluss
bestimmter Banken aus dem internationalen Zahlungssystem SWIFT, wodurch die
ausgeschlossenen Institute keine Zahlungen für ihre Leistungen mehr erhalten können,
und das Einfrieren von Vermögenswerten der russischen Zentralbank im Ausland.
Russland reagierte darauf mit Vergeltungsmaßnahmen. Russische Unternehmen werden
ihre Kredite somit womöglich bald nicht mehr in Fremdwährung zurückzahlen können,
und es könnte einen Exportstopp für bestimmte Rohstoffe geben. Das könnte zu neuen
Engpässen in den globalen Produktionsketten beitragen.
Die extrem harten Sanktionen werden die russische Wirtschaft eventuell schnell
ausbluten lassen. Die direkten Auswirkungen und die als Reaktion ergriffenen
Vergeltungsmaßnahmen wird der Rest der Welt allerdings ebenfalls zu spüren bekommen,
da sie die vor dem Konflikt bereits vorhandenen Trends der Inflation und
wirtschaftlichen Abkühlung beschleunigen werden.
Bahnt sich eine neue Wirtschaftsordnung an?
Der zweite Auslöser der heftigen Preiskorrekturen bei russischen Vermögenswerten
und fossilen Energieträgern ist das Engagement der Finanzakteure rund um den
Globus für ökologische, soziale und die Unternehmensführung betreffende Kriterien
ESG) zur Förderung der Finanzierung einer nachhaltigen Entwicklung. Eine Vermögens-
verwaltungsgesellschaft wie unsere, die sich zu einem nachhaltigen Ansatz
verpflichtet, kann vor diesem Hintergrund nicht einfach weiter in Russland
investieren, als wäre nichts geschehen. Wir haben daher den vollkommen logischen
und legitimen Entschluss gefasst, bis auf Weiteres keine russischen Wertpapiere
mehr zu kaufen.
Dieselbe Entscheidung haben auch zahlreiche andere Vermögensverwalter getroffen.
Das hat die Talfahrt russischer Wertpapiere deutlich stärker beschleunigt, als es
die Wirtschaftssanktionen allein getan hätten. Dies verdeutlicht auch die neuen
gesellschaftlichen Ambitionen: den Wunsch nach einer "moralischeren" Wirtschaft,
bei dem die Forderung nach unmittelbarer wirtschaftlicher Effizienz in den
Hintergrund rückt, die unsere wirtschaftlichen Entscheidungen in den vergangenen
Jahrzehnten geprägt hat.
Sanktionen, Vergeltungsmaßnahmen, Entscheidung von westlichen Unternehmen, ihre
Aktivitäten in Russland einzustellen, Einhaltung der ESG-Verpflichtungen, die das
Tempo der Energiewende beschleunigen und so die Energiepreise in die Höhe
treiben ... Die potenziell verheerenden Auswirkungen dieser Entscheidungen für die
gesamte Weltwirtschaft sind bereits jetzt absehbar. Vielleicht führt dies schneller
als erwartet zu einer Beilegung des Konflikts durch Verhandlungen.
Abgesehen von den sehr hohen wirtschaftlichen Kosten verstärken die bedeutenden
politischen Ankündigungen im Zuge dieses tragischen Ereignisses auch
Preissteigerungen, indem sie ihnen neuen Boden bereiten. Die Beschleunigung der
Energiewende, die Aufstockung der Verteidigungsetats, die Umstrukturierung der
Energieversorgung und die Produktionsverlagerung sind ebenfalls Entscheidungen,
die die Inflation über viele Jahre nähren werden, bevor sie sich in irgendeiner
Weise wirtschaftlich auszahlen.
In diesem Sinne würde der russisch-ukrainische Konflikt das Ende der deflationären
Dynamik der letzten vierzig Jahre bedeuten, die auf einer engen weltwirtschaftlichen
Verzahnung und einer günstigen demografischen Entwicklung beruht. Dies würde den
Beginn einer neuen Wirtschaftsordnung markieren. Eine neue Ordnung, geprägt von
Abschottung und "Entkopplung", um die Industrie und Energieversorgung unabhängig
zu machen. Wie notwendig dies ist, haben die Pandemie und die aktuellen
geopolitischen Spannungen eindrucksvoll gezeigt.
Diese Umkehr des langfristigen Trends hin zu einer höheren Inflation würde
traditionellen Wirtschaftszweigen wieder zu altem Glanz verhelfen, sofern die damit
verbundenen, vielfältigen Beschränkungen sorgfältig analysiert werden. Die
laufenden technologischen Fortschritte dürften diese teilweise Rückbesinnung auf
die Old Economy erleichtern, indem sie ihr letztlich zu einer ungeheuren Effizienz
verhelfen. So sieht möglicherweise die "Welt danach" aus.
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Quelle: Investmentfonds.de
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