Investmentfonds.de
21.04.2022:
J.P. Morgan AM: Inflation versus Rezessionsrisiko - Zentralbanken in der Zwickmühle
Köln, den 21.04.2022 (Investmentfonds.de) -
Tilmann Galler, Kapitalmarktstratege bei
J.P. Morgan Asset Management
Inflation versus Rezessionsrisiko - Zentralbanken in der Zwickmühle
- Wirtschaftswachstum in USA und Europa unterschiedlich betroffen
vom Ukrainekrieg
- Rezessionsrisiko in Europa steigt, in den USA dürfte Inflation
das größere Übel sein
- Noch nicht der Zeitpunkt für "Augen-zu-und-kaufen"-Strategie
Frankfurt, 21. April 2022 - Schon vor dem Krieg in der Ukraine versprach
2022 ein schwieriges Jahr für die Zentralbanken zu werden. Die Inflation
stieg auf den höchsten Stand seit über 40 Jahren und das reale
Wirtschaftswachstum verlor merklich an Fahrt. Doch die Wachstumskräfte
schienen noch zu stark für das denkbar ungünstigste Szenario für einen
Zentralbanker - die Stagflation. Nach Einschätzung von Tilmann Galler,
Kapitalmarktstratege bei J.P. Morgan Asset Management, ist nun das
Risiko einer Stagflation zurück, so dass die Notenbanken eine schwierige
Entscheidung treffen müssen: Ist das Risiko einer Rezession oder einer
eskalierenden Inflation das geringere Übel? Die wirtschaftlichen
Verflechtungen mit Russland und der Ukraine spielen dabei eine
entscheidende Rolle - und könnten die US-Notenbank Fed sowie die EZB zu
unterschiedlichen Handlungen veranlassen.
Wirtschaftswachstum in USA und Europa unterschiedlich betroffen
von Ukrainekrieg
Der Angriff Russlands auf die Ukraine hat die Rahmenbedingungen seit Anfang
des Jahres schlagartig verändert. "Die Zerstörungen in der Ukraine und die
umfangreichen Wirtschaftssanktionen gegen Russland treiben die Energie- und
Lebensmittelpreise nach oben und vergrößern die Sorge über Angebotsengpässe
in zahlreichen Industrien. Zentralbanken stehen jetzt vor dem Dilemma, dass
sich der Preisauftrieb verschärft und gleichzeitig die Wachstumsaussichten
verschlechtern", stellt Ökonom Galler fest. In dieser schwierigen Situation
müssten die Notenbanken eine Einschätzung treffen, ob das Augenmerk eher auf
das Thema Rezession oder die Inflation gerichtet werde.
Dem Ukrainekrieg dürfte mit Blick auf den Wachstumspfad der beiden
Wirtschaftsblöcke USA und Europa eine entscheidende Rolle zukommen. Trotz
Rückgang seit der Krimkrise 2014 war Europa Ende 2021 mit knapp 36 Prozent
Anteil am russischen Handelsvolumen immer noch der wichtigste Handelspartner,
während der Anteil der USA lediglich 4,4 Prozent betrug. "Schon hier wird
deutlich, dass Europa durch die Auswirkungen der Wirtschaftssanktionen gegen
Russland und den weiteren Verlauf des Konflikts stärker betroffen ist als die
USA", erklärt Tilmann Galler. Auch was die Sicherheit der Energieversorgung
betreffe, gebe es erhebliche Unterschiede. Während die USA quasi
Selbstversorger seien herrsche eine große Abhängigkeit in der EU von
russischen Gas- und Rohöllieferungen.
Grafik: Offene Stellen USA und Deutschland
Auf 100 indexiert (Höchststand vor der Pandemie)
Quelle: BLS, Deutsche Bundesbank, Refinitiv Datastream,
J.P. Morgan Asset Management. Guide to the Markets - Europa. Stand der
Daten: 16. März 2022.
Rezessionsrisiko in Europa steigt, in den USA dürfte Inflation das größere
Übel sein
Der historische Absturz des ZEW-Konjunkturbarometers für Deutschland im März
ist nach Ansicht von Marktexperte Galler ein erstes Warnsignal für das immer
größer werdende Rezessionsrisiko auf dem Kontinent: "Die fragile konjunkturelle
Lage in der Eurozone trägt dazu bei, dass die EZB in ihren Erwägungen über
zukünftige Zinserhöhungen den Wachstumsrisiken wohl mehr Beachtung schenken
wird. Die Zinswende wird - zumindest ohne eine schnelle Deeskalation in der
Ukraine - im Gegensatz zu den USA in diesem Jahr noch etwas auf sich warten
lassen", analysiert Galler.
Der Preiseauftrieb war sowohl in Europa als auch in den USA schon vor
Kriegsausbruch ausgeprägt. Die US-Verbraucherpreise sind nun im März um
8,5 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat angestiegen - der höchste Stand seit
Dezember 1981 -, wobei der Preisanstieg bei Gütern und Dienstleistungen
inzwischen Energie als Haupttreiber der Inflation abgelöst hat. Das spreche
nach Meinung von Tilmann Galler für ein deutlich strukturelleres Inflations-
geschehen. Die Arbeitslosenquote ist in den USA im März mit 3,6 Prozent nahe
der Vollbeschäftigung und die Anzahl der offenen Stellen übertrifft die Anzahl
der Arbeitslosen um 5 Millionen. Selten zuvor in den letzten Jahrzehnten sei
die Verhandlungsposition der Arbeitnehmer für höhere Löhne besser als heute
gewesen: In den letzten drei Monaten sind die Nominallöhne bereits um
5,8 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. "Die Gefahr einer
einsetzenden Lohn-Preisspirale ist groß, falls es der US-Fed nicht gelingt,
durch Leitzinserhöhungen die Inflationserwartungen zu dämpfen",
erklärt Galler.
"Aufgrund der aktuell geringeren Rezessionsgefahr ist für die US-Notenbank
die Inflation das vorerst größere Übel, weshalb wir die nächsten Monate eine
stetige Anhebung der Leitzinsen erwarten. Das birgt jedoch die Gefahr, dass
bei einer weiteren Eskalation der Krise in Osteuropa und weiter steigenden
Rohstoffpreisen das Zinsumfeld für eine dann doch stärker schwächelnde
US-Wirtschaft zu restriktiv sein könnte", führt Tilmann Galler weiter aus.
Sollte die Fed in den nächsten Monaten zusätzlich eine Bilanzreduktion von
95 Milliarden US-Dollar pro Monat beschließen, könnte eine Verknappung der
US-Dollar-Liquidität parallel zu den Zinserhöhungen in der jetzigen Phase
der Unsicherheit und Risikoaversion im ungünstigen Fall zu erheblichem Stress
auf den Finanzierungsmärkten führen.
Noch nicht der Zeitpunkt für eine "Augen-zu-und-kaufen"-Strategie
Durch die jüngsten Kursrückgänge sind Aktien- und Credit-Märkte nach Ansicht
von Tilmann Galler attraktiver geworden, sie hätten aber noch keine
Krisenbewertung erreicht, die zu einer "Augen-zu-und-kaufen"-Strategie
einladen. "Die Unwägbarkeiten des Krieges in der Ukraine und die Konjunktur-
risiken lassen für die kommenden Monate anhaltend volatile Märkte erwarten,
weshalb eine gute Balance zwischen risikoarmen und risikoreichen
Kapitalanlagen geboten ist", fasst Galler zusammen.
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Quelle: Investmentfonds.de
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