Investmentfonds.de
12.07.2004:
Russland und die Suche nach dem Ende der Widersprüchlichkeiten
Köln, den 12.07.2004 (Investmentfonds.de) - Nicht nur die Reise des Deutschen Bundes-
kanzlers, Gerhard Schröder, hat einen aktuellen Schwerpunkt der Medienberichterstattung
auf Russland gesetzt. Bereits seit Wochen halten sich Schlagzeilen über Russland, und
hier im Besonderen mit einem Fokus auf das angeschlagene Ölunternehmen Yukos, hart-
näckig im Zentrum des medialen Interesses.
Investoren ergibt sich durch diese Berichte ein Bild der Verunsicherung, das an der
fundamentalen Potenz der russischen Wirtschaft zweifeln lässt. Womit wir bereits bei
dem ersten Widerspruch angelangt wären: Die ökonomische Potenz
Eine russische Volkswirtschaft, die eine BIP-Halbjahresbilanz von ca. 7% aufweist,
über Währungsreserven von ca. $ 90 Mrd. verfügt (was ca. 25% des aktuellen BIP
darstellt!), einen Leistungsbilanzüberschuss vorweisen kann, der imponierender nicht
sein kann, von einem Ölpreis angetrieben wird, der sich weiterhin deutlich über $ 30
pro Barrel hält, ist definitiv als robust zu bezeichnen.
Warum nur kommt diese fundamentale Stärke der russischen Wirtschaft nicht in einem
prosperierenden Finanzmarkt zum Ausdruck?
Widerspruch Nummer 2: Das Verfahren um Yukos
Fast inflationär ist das Nachrichtenaufkommen im Bezug auf den angeschlagenen Ölkonzern
Yukos zu bezeichnen. Nahezu im Stundentakt ändert sich die Nachrichtenlage, mal aus
verlässlichen, mal aus Quellen, die durchaus zu bezweifeln sind. Eines haben sie aber
alle gemein, den Wunsch, ein endgültiges Ende dieses seit Monaten schwebenden Verfahrens
zu finden.
Warum aber riskiert der Kreml, trotz aller öffentlichen Bekundungen, die Insolvenz dieses
Unternehmens und damit einhergehend einen Vertrauensverlust nationaler sowie internatio-
naler Anleger? Warum liegt demnach ein massiver Widerspruch zwischen "Worten" und "Taten"
seitens des Kreml vor?
Widerspruch Nummer 3: Die Bankenkrise
Es ist schon fast als ironisch zu bezeichnen, dass Russland gerade jetzt, in einer Zeit,
in der es in Petrodollars zu "schwimmen" scheint, mit einer Bankenkrise konfrontiert
wird. Wie kann demnach eine Volkswirtschaft mit dieser aktuellen Stärke und hohen Mengen
an Liquidität plötzlich vor einer Bankenkrise stehen?
Wagen wir uns an die Widersprüche heran und suchen nach Antworten. Widerspruch Nummer
1 bedarf keiner weiteren Erläuterung. Die realen fundamentalen Fakten sind eindeutig
positiv, doch hat derzeit die Psychologie den russischen Finanzmarkt fest im Griff.
Diese Psychologie wiederum hat ihre Ursachen in den Widersprüchen 2 und 3.
Wird Yukos nun in die Insolvenz gehen müssen? Fundamental betrachtet besteht hierfür
sicherlich keinerlei Notwendigkeit. Das Unternehmen, das insgesamt aller Vermögensgegen-
stände mit einem Wert von $ 40 Mrd. geschätzt wird, verfügt über einen ausserordentlich
positiven Cashflow mit ca. $ 1 Mrd. pro Quartal! Bei solch fundamental guten Unter-
nehmensdaten wäre es ein Leichtes, für die Zahlung der Steuerschulden in Höhe von $ 3.4
Mrd. Modalitäten zu finden, die alle Beteiligten zufrieden stellen würden. Denn eines
ist klar, Yukos verfügt nicht über die liquiden Mittel, um die Steuerschuld sofort zu
tilgen, wie von den Behörden gefordert. Zudem haben unter anderem die Menatep Holding
(diese Holding hält signifikante Anteile an Yukos) sowie der inhaftierte, ehemalige
Vorstandsvorsitzende von Yukos, Mikhail Khodorkovski, öffentlich angeboten, ihre Anteile
gegen die Steuerschuld einzutauschen. Es ist jedoch eindeutig festzustellen, dass aktuell
seitens der Autoritäten der politische Wille für einen Kompromiss fehlt, weshalb die
Gefahr einer Insolvenz und gleichzeitigen Zerschlagung des Unternehmens sehr akut sind.
Es mehren sich Tendenzen, dass der Kreml die Kontrolle über Yukos übernehmen möchte.
Die jüngst aufgetretene Bankenkrise, die der Yukos-Affäre den medialen Rang streitig zu
machen scheint, ist, gemessen an der fundamentalen ökonomischen Situation des Landes,
ebenfalls als absurd zu bezeichnen. Tatsächlich ergibt sich bei näherer Betrachtung ein
differenzierteres Bild, was die Krisenhaftigkeit der Lage relativiert:
- 75% aller Einlagen sind in staatlichen oder staatlich kontrollierten Banken/Instituten.
Diese Institute verfügen über ausreichend Liquidität und sind sicherlich nicht von der
Krise betroffen.
- Lediglich eine Privatbank, die Alfa Bank, verfügt über einen Marktanteil von mehr als
5%. Zur Vorbeugung etwaiger Eventualitäten hat der grösste Anteilseigner der Bank,
Friedmann, zusätzliche $ 400 Mio. an Liquidität zur Verfügung gestellt.
- Die gesamten Einlagen aller Privatanleger repräsentieren lediglich 10% des BIP.
Die Krise wurde ausgelöst durch die Insolvenz der Guta Bank, die gemessen an den Vermögens-
gegenständen auf Platz 22 der russischen Privatbanken positionierte und über einen
Marktanteil von deutlich unter 5% verfügte. Als in den letzten Tagen ca. $ 340Mio.
von Anlegern abgehoben worden sind, was ca. 33% der gesamten Einlagen ausmachte, geriet
die Guta Bank in Liquiditätsengpässe. Da auch die Russischen Zentralbank nicht imstande
war, kurzfristig Hilfe zu leisten, obwohl es über mehr als genug Liquidität verfügt, war
die "Schliessung aus technischen Gründen", so die offizielle Version, nicht mehr zu
stoppen. Der Markt hatte sein erstes prominentes Opfer!
Die Russische Zentralbank reagierte plötzlich sehr schnell und hat der zweitgrössten
Staatsbank, Vneshtorgbank, einen Kredit in Aussicht gestellt, um die Guta Bank zu
übernehmen. Die Guta Bank hat dieser Übernahme bereits zugestimmt.
Die Russische Zentralbank hat versichert, dass es bei keinem der grösseren Privatbanken
wie der MDM oder der Rosbank Liquiditätsprobleme gäbe und hat bestätigt, den Banken
genügend Liquidität in Devisen und in Rubel zur Verfügung zu stellen.
Kann man nun von einer generellen Krise sprechen? Definitiv nicht!
Es kam nicht zu Panikreaktionen seitens der Anleger, der Aktienmarkt geriet ebenfalls
nicht in Panik, sondern schloss gestern gar mit einem leichten Plus ab.
Zusammengefasst ist für Charlemagne Capital als fundamental orientierte Anleger von
Bedeutung, ob sich die generellen Aussichten der Unternehmen in Russland eingetrübt haben.
Das ist aus ihrer Sicht eindeutig nicht der Fall ! Der volkswirtschaftlichen Indikatoren
sind weiterhin exzellent, sowie die Aussichten einzelner Unternehmen, die Charlemagne in
den eigenen Portfolios hat. Jedoch muss festgestellt werden, dass aktuell der Markt fast
ausschliesslich psychologisch reagiert, politisch bedingt. Es bedarf daher eines tieferen
Blickes in die, besser noch eines Endes der Widersprüchlichkeiten des Marktes, um das
Potenzial, das in Russland durchaus vorhanden ist, gezielt nutzen zu können.
Quelle: Investmentfonds.de
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