14.10.2004
Charlemagne Capital: Marktperspektiven Türkei
Köln, den 14.10.2004 (Investmentfonds.de) - Gerne erzählt einer der führenden tür-
kischen Unternehmer und großen EU-Befürworter, Ishak Alaton, derzeit die Geschichte
von der "Lahmen Ente von Bagdad". Sie spielt im Mittelalter und erzählt von einer
Ente, die sich nach Mekka aufmachen will. Mitleidig wird sie von ihren Freunden an-
geschaut, die davon überzeugt sind, dass sie Mekka nie erreichen, sondern auf dem
Weg dorthin sterben wird. Frohen Herzens aber erwidert die Ente:" Hauptsache ich
mache mich auf den Weg dorthin!"
Es ist nie aufgeklärt worden, ob die Ente jemals in Mekka angekommen ist. Jedoch ist
der einstige "kranke Mann von Bosporus" am 6. Oktober auf seinem langen Weg in die
Europäische Union einen entscheidenden Schritt näher gekommen. Die EU-Kommission
empfiehlt die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei, wenn auch konditional,
was erstmalig in der Historie der EU der Fall ist. Viele Etappen waren seit der Re-
publikgründung im Jahre 1923 auf dem Weg gen Westen zu nehmen. Bereits 1949 wurde die
Türkei Mitglied des Europarates, 1951 Mitglied der NATO, sie unterzeichnete 1963 ein
Assoziationsabkommens mit der EWG, erhielt 1964 ein "Versprechen" für die Aufnahme in
die EWG, unterzeichnete 1996 eine Zollunion mit der EU und erhielt 2001 den Status
eines EU-Kandidaten. Sollten nun am 17. Dezember 2004 die Europäischen Regierungschefs
der EU-Kommissionsempfehlung der Aufnahme von Beitrittsgesprächen zustimmen, so ist
der 6. Oktober für die Türkei als historisch zu beurteilen.
Auf historischem Kurs befindet sich seit langem die Istanbuler Börse. Der Repräsenta-
tive ISE100 Index legte seit Mitte Mai in der Spitze um 38 % zu. Natürlich sind auch
volkswirtschaftliche Gründe für diesen rasanten Anstieg verantwortlich. Allein im 2.
Quartal konnte die türkische Wirtschaft um 13,4 % zulegen, die Inflation bewegt sich
auf niedrigem, zweistelligem Niveau, was ebenfalls als historisch zu beurteilen ist.
Doch der eigentliche Motor für die Börse ist die Aussicht auf die EU-Mitgliedschaft.
Der "Tanz der Istanbullen" wird demnach weitergehen. "Die Türkei wird immer mehr zu
einem Konvergenzthema. Und was die EU-Perspektive an anderen Börsen, zum Beispiel den
osteuropäischen, bewirkt hat, kann man einfach, aber beeindruckend belegen", ist sich
Stefan Böttcher, Fondsmanager des Magna Global Emerging Markets Fonds, der in der
Türkei investiert, sicher. Allerdings kommt es nicht nur auf den Beginn von Aufnahme-
gesprächen an, "sondern auf den Beginn der Umsetzung der Reformen, die die Türkei in
die Wege geleitet hat und damit auf den Beleg seitens der Türkei, die Kopenhagener
Kriterien nicht nur auf dem Papier zu erfüllen", ergänzt der Türkeispezialist, Davut
Deletioglu.
Sollten die EU-Regierungschefs im Dezember der Empfehlung der Kommission folgen, wird
sich der ökonomische Aufholprozess fortsetzen, oder gar intensivieren. Auch wenn sich
die Beitrittsverhandlungen, die erstmalig nicht zwingend in einen Beitritt münden
müssen, über 10 oder gar mehr Jahre hinweg ziehen, ist die Türkei langfristig eine
lohnende Anlage. Schaut man sich allein das deutsch-türkische Wirtschaftsverhältnis an,
lässt sich erahnen, wo die langfristigen Chancen in der Türkei liegen. Die deutschen
Exporte in die Türkei sind allein im 1. Halbjahr 2004 um 50 % auf einen Wert von € 6
Mrd. gestiegen. Davon entfielen knappe 60 % auf Maschinen, Kraftfahrzeuge und chemische
Erzeugnisse. "Dies sind alles Indikatoren, dass der Boom sich auch in das nächste Jahr
fortsetzen wird", glaubt Deletioglu. Von den türkischen Exporten nach Deutschland ent-
fallen 50 % (oder € 3,7 Mrd.) auf Textilien und Bekleidung gefolgt von Nahrungsmitteln
(10%) sowie Kraftfahrzeugen bzw. Kraftfahrzeugteilen (9%). "Es ist davon auszugehen,
dass die türkische Exportwirtschaft durch den Konvergenzprozess weiter erstarken wird.
Allein in 2004 werden die türkischen Exporte auf ein Volumen von € 60 Mrd. anwachsen,
was einer Verdopplung des Volumens von 2000 gleichkommt. Zu den größten Exporteuren
zählt zum Beispiel der Haushaltsgerätehersteller Beko, der wohl bald der europäische
Marktführer sein wird, nachdem er in Großbritannien mit dem Label "Arcelik" bereits die
Nummer 1 ist. Natürlich werden Finanztitel, wie zum Beispiel die Garanti Bankasi, oder
Holdingtitel wie die Sabanci Holding auch von der beginnenden Konvergenz profitieren",
weist Böttcher auf.
Für die Türkei prognostiziert eine Studie des Brüsseler "Centre for European Policy
Studies" ein langfristiges Anwachsen des Einkommens je Einwohner um 3 bis 6 Prozent.
Damit sei eine rasche Konvergenz möglich, heißt es. Als positive Faktoren nennt die
Studie das Bevölkerungswachstum, die Aufnahme von Beschäftigten aus der Landwirtschaft
in produktivere Bereiche und den Technologietransfer, der mit einem - nach Aufnahme von
Beitrittsverhandlungen - erwarteten Anstieg der ausländischen Direktinvestitionen auf 3
bis 4 Prozent am BIP verknüpft ist. Die Studie schließt mit der Wertung, dass die Türkei
im Vergleich zu den EU-Staaten zwar arm sei, wie andere Länder an der europäischen
Peripherie, aber dynamischer als Kerneuropa. "Und wenn man dann noch bedenkt, dass die
türkischen Aktien im internationalen Vergleich sehr günstig bewertet sind, sind die
Anlageaussichten als sehr gut zu beurteilen", betont Böttcher.
Bleibt also nur zu hoffen, dass es dem "kranken Mann" nicht so ergeht wie der "lahmen
Ente von Bagdad" und er sein Ziel irgendwann zwischen 2015 und 2019 nachweislich erreicht!
Quelle: Investmentfonds.de