Ethikverband der Deutschen Wirtschaft (EVW): Offener Brief an die Bundesregierung

EVW-Präsidentin Dr. Irina Kummert sagt:
"Wir haben von vielen Seiten auf unsere Initiative viel Zuspruch erfahren. Dabei hat sich deutlich gezeigt, dass viele sich mit einer solchen Position nicht aus der Deckung wagen und sich dagegen entscheiden, offen Stellung zu beziehen. Das wiederum bestätigt die Auffassung des Ethikverbands der deutschen Wirtschaft, dass Moral, respektive die Angst vor moralischer Verurteilung auch dazu führen kann, dass keine offene Debatte geführt wird. Diese Tatsache dürfte die Anregung des Ethikrates vom 07. April, eine offene Debatte zu führen, von vornherein konterkarieren."
Offener Brief an die Bundesregierung:
Bitte kehren Sie zur Verhältnismäßigkeit zurück!
Die Fragen werden immer drängender: Stehen der Shutdown, also das beinahe vollständige Herunterfahren unserer wirtschaftlichen Aktivitäten, die zu befürchtenden Kosten für unsere Volkswirtschaft und die Konsequenzen für jeden einzelnen von uns in einem angemessenen Verhältnis zum bislang nur vermuteten Erfolg? Wie genau definieren wir in diesem Kontext "Erfolg"? Beruhen die getroffenen Maßnahmen auf einem ausreichenden Fundament bezogen auf das, was wir wissen?
Der Gedanke ist nicht neu - schon Aristoteles hat in seiner Nikomachischen Ethik dem Konzept der Verhältnismäßigkeit eine zentrale Bedeutung für das Verständnis von Gerechtigkeit und Gleichheit zugewiesen. Im Vordergrund steht dabei die Überlegung, dass eine Handlung nur dann angemessen ist, wenn widerstreitende Interessen oder Werte ausreichend abgewogen worden sind. Für Aristoteles gehören zu einem glückseligen Leben sowohl äußere Güter wie Geld und Ehre im Sinne von Erfolg, als auch innere Güter wie Gesundheit. Erst die Kombination aus beidem ergibt für ihn ein lebenswertes Leben. Wir tun derzeit so, als müssten wir uns entscheiden: Entweder Leben oder Öffnen der Betriebe. Letztlich aber gehen wir noch viel weiter: Wir verrechnen Leben gegen wirtschaftliche Existenzen und damit Leben gegen Leben.
Das Gebot der Verhältnismäßigkeit ist ein wesentlicher Bestandteil unseres Rechtsstaatsprinzips. Verhältnismäßigkeit ist dann gegeben, wenn jede Maßnahme, die unsere Grundrechte beeinträchtigt, nachweislich in einem statthaften öffentlichen Interesse, insofern erforderlich und geeignet im Sinne von angemessen ist. Inhärenter Bestandteil dieses Prinzips ist immer auch der Ermessensspielraum desjenigen, der die Maßnahme anordnet. Unserer Bundesregierung dezidiert vorzuwerfen, dass sie diesen Ermessensspielraum ausgenutzt oder fehlerhaft ausgeübt hat, ist angesichts dessen was auf der anderen Seite der Waagschale liegt, nämlich der Anspruch, Menschenleben schützen zu wollen, schwierig. Schwierig insbesondere deshalb, weil jetzt, ex ante, also unter Unsicherheit, über etwas entschieden werden muss, was wir noch nicht abschließend einschätzen können.
Der deutsche Ethikrat hat in seiner jüngsten Stellungnahme bezogen auf die Corona-Pandemie und die damit einhergehenden Konsequenzen für unsere Gemeinschaft den Begriff der "Tragik" formuliert und damit gleichzeitig festgestellt, wir seien grundsätzlich einem allgemeinen Lebensrisiko ausgesetzt, das wir anerkennen, das wir akzeptieren müssen. Es ist richtig, dass wir regelmäßig Risikoabwägungen treffen und letztlich damit umgehen müssen, dass Unsicherheiten im Gegensatz zu den meisten Risiken nicht messbar, nicht allokierbar und damit nicht greifbar sind. Wenn wir das Etikett der Tragik akzeptieren, dann akzeptieren wir zugleich etwas Unabänderliches, Schicksalhaftes, für das wir scheinbar alternativlos einen hohen Preis bezahlen müssen.
Die Initiatoren dieses Schreibens geben zu bedenken, dass die Konsequenz daraus Resignation bedeuten und als Flucht vor der Übernahme oder gar als Delegation von Verantwortung an eine "höhere Macht" interpretiert werden kann. Wir stellen fest, dass es im Angesicht unzähliger Menschen, die sich um ihre wirtschaftliche Existenz sorgen, Aufgabe, ja Verpflichtung ist, den Versuch zu unternehmen, das scheinbar Unausweichliche abzuwenden. Es gilt daher, auch unter erschwerten Bedingungen unserem Leben, im aristotelischen Sinne verstanden als eine Einheit von Ehre im Sinne von wirtschaftlichem Erfolg und (sic!) Gesundheit, wieder Raum zu geben.
Wir plädieren daher dafür, den Menschen mehr Eigenverantwortung zu übertragen und dem Vorbild unseres Nachbarlandes Österreich folgend nach Ostern die Betriebe unter Einhaltung der Abstandsregeln wieder zu öffnen.
Berlin, 09. April 2020 München, 09. April 2020 Dr. Irina Kummert Prof. Dr. Christoph Lütge Präsidentin Peter Löscher-Stiftungslehrstuhl Ethikverband der deutschen Wirtschaft e.V. für Wirtschaftsethik TUM School of Governance Technische Universität München Frankfurt am Main, 09. April 2020 Hannover, 09. April 2020 Prof. Dr. Klaus-Jürgen Grün Prof. Dr. Stefan Homburg, StB Vize-Präsident Institut für Öffentliche Finanzen Ethikverband der deutschen Wirtschaft Leibniz Universität Hannover Chemnitz, 09. April 2020 Bad Homburg, 09. April 2020 Prof. Dr. Heiner Rindermann Prof. Dr. Yvonne Thorhauer Institut für Psychologie Forschungsleitung Technische Universität Chemnitz accadis Hochschule Bad Homburg
Disclaimer: Diese Meldung ist keine Empfehlung zu einer Fondsanlage und keine individuelle Anlageberatung. Vor jeder Geldanlage in Fonds sollte man sich über Chancen und Risiken beraten und aufklären lassen. Der Wert von Anlagen sowie die mit ihnen erzielten Erträge können sowohl sinken als auch steigen. Unter Umständen erhalten Sie Ihren Anlagebetrag nicht in voller Höhe zurück. Die in diesem Kommentar enthaltenen Informationen stellen weder eine Anlageempfehlung noch ein Angebot oder eine Aufforderung zum Handel mit Anteilen an Wertpapieren oder Finanzinstrumenten dar.
Risikohinweis: Die Ergebnisse der Vergangenheit sind keine Garantie für künftige Ergebnisse. Die Aussagen einer bestimmten Person geben deren persönliche Einschätzung wieder. Die zur Verfügung gestellten Informationen erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit und stellen keine Beratung dar.