Ninety One Macroscope: Zen und die Kunst der Zinspause

Die Zentralbanker scheinen nach geldpolitischer Erleuchtung zu streben, indem sie die Zinssätze gerade so weit anheben, dass die Inflation wieder auf ihren Zielwert zurückkehrt, ohne die Wirtschaft in eine tiefe Rezession zu stürzen, meint der Ninety One Stratege Russell Silberston.
Investmentfonds.de - 20. Februar 2023. In einem Radiointerview sprach der Chefökonom der Bank of England, Huw Pill, vor kurzem von der Notwendigkeit „einer Art Zen-Balance in unserem Ziel“. Für eine Institution, deren Auftrag es ist, „das Wohl der Bürger des Vereinigten Königreichs durch Wahrung der Währungs- und Finanzstabilität zu fördern“, ist dieser Verweis auf buddhistische Lehren etwas ungewöhnlich – insbesondere für einen Zentralbanker, der sich mit einer Inflationsrate von 10% konfrontiert sieht. Eine kurze Internetrecherche zeigt jedoch, dass Zen für Selbstbeherrschung, Meditation und Einsicht in die Natur der Dinge steht. Damit scheint Pill zu hoffen, dass er und seine Zentralbankkollegen die geldpolitische Erleuchtung erlangen können, wenn sie die Zinsen gerade genug anheben, um die Inflation auf ihren Zielwert zurückzuführen, ohne dadurch die Wirtschaft in eine tiefe Rezession zu stürzen. Dabei ist der Ausblick für die britische Wirtschaft im Nachgang der Corona-Pandemie immer noch mit erheblichen Unsicherheiten behaftet.
Auf eine Auszeichnung für klare Kommunikation wird die BoE zwar kaum hoffen können. Tatsächlich ist ihre Haltung aber gar nicht weit von der anderer großer westlicher Zentralbanken entfernt. Sie alle stehen vor demselben Problem: Die Arbeitsmärkte sind trotz des aggressivsten Zinserhöhungszyklus der letzten Jahrzehnte weiterhin sehr angespannt und die Inflation lässt zwar nach, aber nur, weil der Preisdruck bei internationalen Waren zurückgeht. Bei den Dienstleistungspreisen im Inland ist noch keine Entspannung erkennbar. Kein Zentralbanker will die Wirtschaft an die Wand fahren - genauso wenig will er sich aber Versagen bei der Bekämpfung der Inflation vorwerfen lassen. Der Heilige Gral ist die weiche Landung der Wirtschaft.
Diese Gratwanderung erklärt, warum wir an einem Punkt angelangt sind, an dem sich eine Zinspause abzeichnet. In den USA bemerkte Fed-Chef Jerome Powell am Rande der jüngsten Pressekonferenz des Offenmarktausschusses, dass er und seine Kollegen „recht viel über den weiteren Weg sprechen“ würden. Wie er hinzufügte, werde das Sitzungsprotokoll, wenn es veröffentlicht wird, „viele Details“ enthalten. Auch die Europäische Zentralbank hat nach ihrer jüngsten Sitzung eine weitere Zinserhöhung um 0,5% im März in Aussicht gestellt. Im Anschluss fügte Notenbankpräsidentin Christine Lagarde jedoch hinzu, dass die EZB den weiteren Pfad der Geldpolitik nach der nächsten Zinsentscheidung bewerten werde.
Leider ist die Geschichte nicht auf der Seite derjenigen, die auf eine weiche Landung der Wirtschaft hoffen. Der ehemalige Fed-Vizepräsident Professor Alan Blinder hat die weichen und harten Landungen der US-Wirtschaft[1] in den letzten 60 Jahren untersucht. Von den elf von ihm identifizierten Zinszyklen endeten nur drei mit einer weichen Landung, definiert als Situation, in der es nicht zu einer Rezession kommt, das BIP also nicht in zwei aufeinanderfolgenden Quartalen schrumpft. Jeder Zinszyklus war von sehr unterschiedlicher Größenordnung und Dauer, aber im Schnitt wurden die Leitzinsen um 525 Basispunkte (Bps) angehoben, einschließlich der beiden Ausnahmezyklen zwischen 1977 und 1981, in denen die Zinsen um über 1.000 Bps erhöht wurden. Diejenigen, die weiter am Narrativ der weichen Landung festhalten, sollten bedenken, dass die Zinsen in den drei Zyklen, die Blinder zufolge mit einer weichen Landung endeten, insgesamt nur um 266 Bps stiegen. Nachdem die Fed noch ein oder zwei weitere Zinserhöhungen in Aussicht gestellt hat, dürften die Zinsen in diesem Zyklus letztlich um 525 Bps steigen. Das entspräche genau dem historischen Durchschnitt. Es sollte daher nicht überraschen, dass sich die Fed nach derart aggressiven geldpolitischen Maßnahmen genauso wie ihre westlichen Pendants rasch einem Wendepunkt nähert.
Ein kurzer Blick in die Wirtschaftsgeschichte zeigt uns, was passiert, wenn ein Konjunkturzyklus zu Ende geht. In Blinders elf historischen Beispielen waren die Zinsen sechs Monate nach der letzten Anhebung im Schnitt 160 Bps niedriger. Diese Daten sind jedoch durch die Politik des Fed-Vorsitzenden Arthur Burns verzerrt. Nachdem dieser Mitte der 1970er Jahre die Zinsen um fast 6% senkte, beschleunigte sich die Inflation und setzte sich in der Wirtschaft fest. Erst die drastischen Maßnahmen seines Nachfolgers Paul Volcker setzten den disinflationären Prozess in Gang - allerdings zu enormen wirtschaftlichen Kosten. In den vier Zinszyklen seit 1993 lagen die Zinsen sechs Monate nach der letzten Anhebung im Schnitt nur 18 Bps tiefer. Kein Zentralbanker in den USA möchte mit Burns in Verbindung gebracht werden. Daher scheint eine lange Phase stabiler Zinsen nach Erreichen des Zinshochs in der ersten Jahreshälfte 2023 am realistischsten.
Wenn eine weiche Landung nach einem aggressiven Zinserhöhungszyklus eine wirtschaftliche Premiere wäre, was sind dann die Alternativen? Die Erfahrung der Vergangenheit spricht für eine harte Landung. Auf globaler Ebene würde es dazu aber nur kommen, wenn sich die Arbeitsmarktlage verschlechtert. Trotz des sehr starken jüngsten US-Arbeitsmarktberichts erscheint das allerdings immer noch als das wahrscheinlichste Szenario. Das andere Szenario das wir jetzt für etwas wahrscheinlicher als eine weiche Landung halten, ist das ‚Keine Landung‘-Szenario. Mit anderen Worten: Das Wirtschaftswachstum bleibt trotz der Zinserhöhungen robust, aber da die Arbeitsmärkte weiterhin angespannt sind, kommen die Zentralbanken zu dem Schluss, dass die Disinflation möglicherweise nur vorübergehend ist und sie die Straffung daher wieder aufnehmen müssen.
Vielleicht tut Pill gut daran, den Zen-Zustand anzustreben - wie die Geschichte zeigt, haben die Zentralbanken eine unglaublich schwierige Aufgabe vor sich. Der Zinserhöhungszyklus des zurückliegenden Jahres nähert sich dem Punkt, an dem die politischen Entscheider innehalten und ihre bisherigen Maßnahmen bewerten werden. Was danach geschieht, ist schwer vorherzusagen, aber die beiden wahrscheinlichsten Szenarien sind nicht positiv für risikoreichere Anlagewerte.
[1] Alan Blinder on Landings, Hard and Soft: The Fed 1965-2020, Princeton University> Bendheim Centre for Finance, 11. Februar 2022
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