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29.09.2020:
NN Investment Partners: "Brexit ist eine Frage der Identität"
Köln, den 29.09.2020 (Investmentfonds.de) -
William Verhagen, Senior Economist bei NN Investment Partners
Brexit dreht sich eher um Identität als nationalen Wohlstand
Völkerrechtsverletzung könnte dem Ruf Großbritanniens schaden
Großbritannien muss sich entscheiden, was Souveränität kosten darf
Die Brexit-Saga geht weiter: Das Risiko eines No-Deal-Ausstiegs ist
gestiegen, was nachhaltige negative Folgen für das Vereinigte Königreich
haben könnte. So könnte ein Verstoß gegen das Völkerrecht dem internationalen
Ruf Großbritanniens als vertrauenswürdiger Verhandlungspartner schaden.
Doch warum ist die britische Regierung bereit, dieses Risiko einzugehen?
"Weil der Brexit weniger von der Sorge um den materiellen Wohlstand des
Landes als vielmehr von dem Wunsch getrieben wird, seine Identität zu
wahren. Laut Brexit-Befürworter schwächen die Anforderungen einer
starken wirtschaftlichen und finanziellen Integration mit Kontinentaleuropa
die Identität des Landes", begründet der Volkswirt Verhagen das Verhalten.
Souveränität muss man sich leisten können
Das Vereinigte Königreich hat die EU bereits verlassen. Die entscheidende
Frage ist nun, inwieweit die britischen Handels- und Finanzinstitutionen
in die EU-Institutionen eingebunden bleiben. Die Antwort hängt von einem
grundlegenden Kompromiss ab zwischen dem Grad an Souveränität, den das
Vereinigte Königreich wiedererlangt, und den wirtschaftlichen sowie
politischen Kosten, die damit verbunden sind. Diese Kosten können
größer und nachhaltiger sein als in der lehrbuchmäßigen Wirtschaftstheorie
angenommen, die dazu neigt, die entscheidende Bedeutung der Institutionen
und des Vertrauens des privaten Sektors zu verharmlosen.
Die britischen Handels- und Finanzinstitutionen sind stark mit der EU
verflochten. Ihre Ausgliederung und Abgrenzung würde der Wirtschafts-
leistung des Vereinigten Königreichs wahrscheinlich erheblichen Schaden
zufügen und für die Unternehmen eine lange Zeit großer Unsicherheit
bedeuten. Im Jahr nach der Brexit-Abstimmung waren die privaten
Investitionen im Vereinigten Königreich unterdurchschnittlich - zu
einer Zeit, in der sie in den übrigen Industrieländern sprunghaft
angestiegen sind.
Die Politik der britischen Regierung in den vergangenen zwei Wochen hat
die Abwärtsrisiken noch zusätzlich erhöht. Ein Verstoß gegen das
Völkerrecht kann dem internationalen Ansehen Großbritanniens Schaden zufügen.
Demokraten im US-Kongress haben bereits angedeutet, dass ein solcher Bruch
die Zustimmung zu einem Handelsabkommen mit dem Vereinigten Königreich sehr
schwierig machen würde.
Der Grund, warum die britische Regierung bereit ist, dieses Risiko
einzugehen, hängt mit der Identitätsfrage zusammen. Wenn die Verhandlungen
mit der EU scheitern und Großbritannien den Binnenmarkt verlässt, würde eine
Zollgrenze in der Irischen See zwischen Nordirland und dem Rest des
Vereinigten Königreichs errichtet. So sieht es das Ausstiegsabkommen vor.
Dies schwächt wohl die Europäische Union. Die Alternative ist eine
Zollgrenze zwischen Nordirland und der Republik Irland, was mit dem
erheblichen Risiko verbunden ist, den nach dem Karfreitagsabkommen von
1998 erreichten Frieden zu stören.
"Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist es unmöglich, genau vorherzusagen, wie
die Pattsituation zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU enden
wird. Die EU, die sich sehr streng an eine auf Regeln basierende
internationale Zusammenarbeit hält, hat das Vorgehen der britischen
Regierung scharf verurteilt. Am Ende wird die britische Regierung entscheiden
müssen, wie viel sie bereit ist, für wie viel Souveränität zu zahlen",
analysiert Verhagen die momentane Situation. Die Forderung der EU nach
gleichen Handelsbedingungen könnte einen ziemlichen Druck ausüben. Das
Vereinigte Königreich wünscht sich eine flexible Einstellung zu dem, was
gleiche Wettbewerbsbedingungen ausmacht; insbesondere möchte es die Freiheit
haben, bestimmte Schlüsselindustrien wie Technologie zu unterstützen.
"Diese Freiheit könnte auf Kosten eines harten Bruchs mit der EU und des
Risikos einer anhaltend schlechteren Wirtschaftsleistung gehen. Und dies zu
einem Zeitpunkt, in dem die Wirtschaft bereits stark von der Corona-Krise
betroffen ist. Die einzige Gewissheit scheint hier zu sein, dass der
Einsatz für Großbritannien in der Tat sehr hoch ist", resümiert der Volkswirt.
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