Aegon AM | Transatlantische Bewertungsdifferenz im Fokus: Wie viel US-Prämie ist gerechtfertigt?
Jacob Vijverberg, Head of Asset Allocation Team bei Aegon Asset Management
Investmentfonds.de - Die transatlantische Bewertungsdifferenz ist ein zentrales Thema für Aktienanleger geworden. Der US-Markt weist ein deutlich höheres Bewertungsniveau auf, das stark von Erwartungen an künftiges Gewinnwachstum getragen wird. Europa hingegen ist aktuell wesentlich niedriger bewertet und wächst moderater. Vor diesem Hintergrund rückt für 2026 weniger die Frage nach der reinen Wachstumsdynamik in den Vordergrund als jene, welche Bewertungsniveaus sich auf Basis realistischer Gewinnpfade dauerhaft rechtfertigen lassen.
Struktur der Bewertungsdifferenz zwischen USA und Europa
Die Bewertungsschere zwischen den USA und Europa hat sich über viele Jahre geöffnet und liegt heute bei nahezu 70 Prozent – gemessen am erwarteten Kurs-Gewinn-Verhältnis von etwa 27 im S&P 500 und rund 16 im STOXX Europe 600. Historisch betrachtet sind Bewertungsunterschiede zwischen den Regionen nichts Ungewöhnliches, doch die Breite und Beständigkeit der aktuellen Lücke sind bemerkenswert. Sie wurden durch ein über viele Jahre höheres Gewinnwachstum in den USA, durch die Dominanz wachstumsstarker Tech-Sektoren und eine hohe Nachfrage nach US-Aktien begünstigt.Tatsächlich konnten amerikanische Unternehmen ihre Gewinne seit 2005 im Schnitt um etwa 5,5 Prozent jährlich steigern, während europäische Firmen im gleichen Zeitraum bei rund 3,5 Prozent lagen. Selbst inflationsbereinigt bleibt ein Vorsprung zugunsten der USA. Allerdings ist entscheidend, wie lange ein solcher Vorteil anhalten müsste, um die heutige Bewertungsdifferenz zu rechtfertigen. Eine Modellrechnung zeigt, dass die USA ihre Gewinnentwicklung über Jahrzehnte hinweg überproportional steigern müssten. Beträgt der Wachstumsabstand lediglich 1,5 Prozent pro Jahr, würde es mehr als vier Jahrzehnte dauern, bis die Bewertungsrelation gerechtfertigt wäre. Selbst bei einem historisch kaum realisierbaren Vorsprung von 6,5 Prozent wären noch zehn Jahre notwendig. Damit wird klar: Die USA müssten alle bisherigen Vergleichszeiträume übertreffen, einschließlich der außergewöhnlich starken Phase im Jahrzehnt nach der Eurokrise.
Das Ergebnis ist ein Markt mit hoher Fallhöhe. Je größer der Anteil der erwarteten Gewinne in ferner Zukunft, desto empfindlicher reagieren Bewertungen auf Änderungen der Wachstumshypothesen. US-Aktien sind somit stärker von Konjunkturschwankungen, Zinsbewegungen und revisionsanfälligen Modellannahmen abhängig. Die Sensitivität der Kurse gegenüber einer Neubewertung der Gewinnerwartungen ist ungleich höher als in Europa, wo ein größerer Teil der Unternehmenswerte auf realisierbaren, kurzfristigen Cashflows beruht.
Renditekennzahlen im transatlantischen Vergleich
Hinzu kommt, dass die laufende Aktionärsrendite klar zugunsten Europas ausfällt. Die Kombination aus Dividenden und Aktienrückkäufen liegt dort aktuell bei rund 4,5 Prozent, während US-Aktionäre im Schnitt lediglich etwa 2,5 Prozent erhalten. In einem Umfeld höherer Finanzierungskosten ist dies ein entscheidender Stabilitätsanker. Auch die Gewinnrenditen – ein zentraler Parameter für langfristige Bewertung – sprechen eine deutliche Sprache: Europa notiert bei etwa 6,2 Prozent, die USA bei rund 4 Prozent. Analystenschätzungen zufolge dürfte sich diese Lücke bis 2027 weiter vergrößern, da europäische Aktien auf eine Gewinnrendite von über 7,5 Prozent zusteuern könnten, während die USA bei etwas über 5 Prozent erwartet werden. Vor dem Hintergrund, dass europäische Staatsanleihen derzeit lediglich zwischen 2,5 und 3 Prozent rentieren und selbst europäische Hochzinsanleihen bei etwa 5,5 Prozent liegen, stellt dies eine auffällige Unterbewertung europäischer Aktien dar.Der transatlantische Vergleich zeigt letztlich zweierlei: Die USA bleiben Wachstumsführer, doch ihre Bewertung ist in einem Maß in die Zukunft gestreckt, das sie besonders anfällig für Enttäuschungen macht. Europa hingegen bietet Substanz, Stabilität und attraktive laufende Erträge – Eigenschaften, die angesichts eines komplexeren makroökonomischen Umfelds 2026 zunehmend wertvoll werden.
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